LoMo - Expedition
Wildau → Shanghai → Wildau
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Reiseberichte - EMail-Verteiler

 

Polen
Wildau - Bakowice, 3. Mai, km 400

Hi Folks,

zum besseren Verständnis erlauben wir uns, uns nochmals vorzustellen: wir, Markus Rohling (Lo) und Rayko Moritz (Mo) sind nun gerade seit dem 1. Mai dabei, mit dem Motorrad (Yamaha XT600) von Wildau nach Shanghai und wieder nach Wildau zu reisen. Was wir dabei alles erleben, wollen wir euch nicht vorenthalten. In unregelmässigen Abständen versuchen wir euch ca. für ein Jahr unsere verfassten Reiseberichte zu mailen. Wir hoffen die Berichterstattung interessant und informativ genug zu gestalten und freuen uns natürlich über euer Feedback. Falls ihr Freunde, Verwandte, Bekannte habt, die auch in den Genuss unserer Reisemails kommen wollen, könnt ihr uns gerne weitere Emailadressen senden, die wir dann in den Verteiler übernehmen. Nun viel Spass bei unserem 1. Reisebericht:

6. Mai Dienstag, zurückgelegte km: 1010, Position: Nähe Tarnow (Polen)

So - nun ist es endlich geschafft! Die stressigen Tage der Vorbereitung und die quälende Ungewissheit, ob auch alles zur rechten Zeit fertig wird sind vorüber. Elendig lange Checklisten, was noch zu tun ist, die sich tagtäglich erneuerten sind zum grössten Teil abgearbeitet. Unsere Ausrüstung konnten wir auch im letzten Moment vervollständigen und so zeigte sich schon in der knappen ersten Woche, dass wir gute Vorarbeit geleistet haben. Ohne Hilfe wäre das aber nie und nimmer möglich gewesen. deswegen möchten wir nochmal ausdrücklich meinen Eltern danken, die sich um das anfertigen unserer Packtaschen (ganz grosse Klasse Mama!!!), das Schweissen und Streichen der Gepäckträger (hier kriegt der Papa eine "1" für Mitarbeit!!!) und um viele kleine Dinge gekümmert haben. Desweiteren auch vielen Dank an Mama-Lo und Fr. Dr. Hegenscheidt, die uns medizinisch für jedes Wehwehchen bestens versorgt haben. Ein herzliches Dankeschön auch an unsere Freunde, die uns im Vorfeld mit Rat und Tat zur Seite standen. Die "Sparbüchse" ist auch noch nicht ausgegeben. sie wird, wenn's hart kommt, als Notgroschen herhalten müssen. Der letzte Dank geht an die 1. Mai-Delegation. Leute - das gibt einen Eintrag in's Klassenbuch, wegen unerlaubten Fehlens bei der 1. Mai-Demonstration! (Aber die Zeiten sind ja zum Glück vorbei.) Es war für uns ein besonders schönes Gefühl, dass es im engen Freundeskreis Leute gibt, die wirklich sicher gehen wollen, dass wir auch wirklich abfahren. - Danke, dass es euch gibt!

Es ist schon irgendwie seltsam, sich bewusst zu machen, was man da eigentlich vor hat. Ein Jahr auf das vertraute Umfeld verzichten, ein Jahr jeden Tag unterwegs sein, ein Jahr nicht wissen, was einem am nächsten Tag widerfahren wird. Doch die ersten Reiseeindrücke lassen dieses flaue Gefühl in der Magengegend schnell vergessen.

Polen ist wirklich ein schönes Land. Natürlich haben wir es noch nie so intensiv kennengelernt, wie in diesen Tagen. Wir meiden mit unseren "30-Tonnern" die grossen Transitstrecken und weichen immer wieder auf kleinere Verbindungsstrassen aus. Man entdeckt auf diese Art und Weise viel mehr von Land und Leuten. Überall, wo wir Bauernfamilie "Kowalski" oder "Raczkowski" (sorry Kow, is halt oridschinal polnisch) zu unserem Bauern Horst deklarieren, lernen wir die herzliche polnische Gastfreundschaft zu schätzen. In der Nähe von Czestochowa (bei Krakau) überredet uns sogar eine Familie einen Tag länger zu bleiben. Warum eigentlich nicht? Wir können so oder so erst am 7. Mai in die Ukraine einreisen und so nutzen wir die Gunst der Stunde, lassen alle Sachen bei der Familie und besuchen für den nächsten Tag die polnische Stadt Krakau. Es wird ein schöner Tag. Mit ihrem hübschen Marktplatz, den geschäftigen Einkaufspassagen, der überaus durchschnittlich jungen Bevölkerung, die das Stadtbild prägt, zeigt sich eine der ältesten Universitätsstädte Europas mit ca. 130000 Studenten von ihrer besten Seite.

Am nächsten Tag, wieder geht es auf abgelegenen Landstrassen durch verträumte Ortschaften, kommen wir an eine Fähre, die uns über die Weichsel bringt. Am anderen Ufer angelangt wollen wir weiter, aber mein Bock streikt. Super - die erste Bastelstunde nach noch nicht einmal tausend Kilometern! Zum Glück sitzt nur eine schraube an der Batterie locker, die schnell festgezogen ist. Wir haben keine Lust mehr zu fahren, also suchen wir uns nach 180km unseren nächsten Bauern Horst und lassen den tag gemütlich ausklingen. Mich überkommt wieder ein schönes Gefühl, weil ich weiss, dieser Urlaub ist nicht nach 14 Tagen wieder zu Ende. Noch ein kleiner Plausch mit Bauer Dareck, ein kleines Bierchen und schon schlafen wir tief und fest und träumen von polnischen Feldern, polnischen Dörfchen und den uns so sympatischen polnischen Landsleuten.

Dann bis zum nächsten Mal

 

Ukraine
L'vov (Львів) - Kerch (Керч), 8. Mai - 4. Juni, km 3900

So Freunde,

der erste Monat ist geschafft, und es ist mal wieder an der Zeit, euch mit unseren Erlebnissen und Eindrücken zu überschütten. Doch vorweg allen ein herzliches Dankeschön, für die zahlreichen Rückmeldungen zum 1. Reisebericht. Wir haben uns super darüber gefreut, macht weiter so! Nur leider können wir nicht jedem einzelnen auf seine Mail antworten. Die Menge macht es einfach unmöglich. Wir hoffen, dass ihr dafür Verständnis habt und wollen eure Fragen in dem nun folgenden 2. Reisebericht beantworten.

Mitlerweile kann man unsere Reiseroute und -berichte auch im Netz nachlesen. Unter www.lomo-expedition.de hält unser Webadmin Steffen (an dieser Stelle ein grosses Dankeschön) alles chronologisch fest. Also schaut einfach ab und zu mal rein.

Und los gehts:

Nach einer recht kurzen Polendurchquerung weilten wir vom 8. Mai bis 4. Juni in der Ukraine. Es ist ein fantastisches Land mit für uns wunderschönen Begegnungen und Erlebnissen. Diese beginnen bereits mit der ersten Unterkunft in der Ukraine. Nachdem wir die Grenze auf der polnischen Seite recht schnell passiert hatten, wurde es auf der ukrainischen Seite schon etwas bürokratischer. Einen Zettel hier, einen Stempel da - so sind wir langsam von Posten zu Posten weitergerückt. Als wir dann noch unsere internationale Zulassung abgestempelt haben wollten, war die Verwirrung perfekt. Nach längerem Einreden auf den Beamten bekommen wir ihn dann doch soweit und so verlassen wir gegen 19.00 Uhr den Grenzübergang.

Die Dunkelheit nahte und so hiess es schnell, ein geeignetes Plätzchen für die Übernachtung finden. Wie es der Zufall will, landen wir bei Oleg und seiner Familie. Dessen Frau studiert zur Zeit in Deutschland und seine Mutter ist mit ihren 74 Jahren immer noch Deutschlehrerin im Grenzort Rava Ruska. Für uns ein Glück, denn so war eine leichtere Kommunikation möglich. Auch für sie ein Glück, denn wir waren die ersten Deutschen, denen sie jemals begegnet ist. Und so wurde aus der einen geplanten Nacht fast 2 Tage in denen wir die Gastfreundschaft geniessen durften.

Nach diesem hervorragenden Start ging es weiter in Richtung Süden über L'vov, Kalusch, vorbei an Ivano Franco in die Karpaten. Dieses von Tourismus noch weitesgehend verschonte Gebisgsmassiv beeindruckte uns derart, dass wir hier drei Tage in einem verschlafenem Tal zubrachten. Sowohl hier als auch bei unseren Unterkünften im gesamten Land wurden wir wieder reichhaltig versorgt. Ein fast jeder Bauer hat 1 bis 2 Kühe und einige Hühner. Denen, den es etwas besser geht, besitzen manchmal noch Schweine und Pferde. So warden zuweilen überhäuft mit Eiern, Milch, Kartoffeln und Eingewecktem. Wenn dies jedoch für unsere Gastgeber als zu gering erschien, wurden wir zum Beispiel mit kompletten Gerichten , wie z.B. dem Nationalgericht Borscht (Kohlsuppe), Gretschka (eine Art Hirse) versorgt.

Natürlich darf bei aller fester Nahrung der Wodka nicht fehlen und so gibt es den dann auch in entsprechenden Mengen. Ob nun vor, während oder nach dem Essen - es scheint, als spiele dies für die Ukrainer keine Rolle. Nur wie stellt man es an, höflich abzulehnen, ohne den Gastgeber zu verletzen oder am Ende im Dauerdelirium zu landen? Nicht leicht, aber bis dato ist uns der Spagat geglückt.

Das Wetter meinte es in diesem Tal nicht allzu gut mit uns und da es immer wieder länger anhaltend regnete, hiess es für uns nach drei Tagen Aufbruch in Richtung Osten, um endlich wieder in sonnigere Gefilde zu kommen. Stellten wir uns zu diesem Zeitpunkt noch Kiew und die Krim als Reisehighlight vor, änderte sich die Situation dann endgültig in Kamenz Podelska.

Seit ein paar Tagen bereits kränkelte Mo's Motorrad, und nachdem es sich immer schwerfälliger in Betrieb nehmen liess, hiess es vier Tage ambulanter Krankenhausaufenthalt in Kamenz. Wir waren ja auch erst 2000km gefahren. Das Werkzeug fing schon an zu rosten. Also ran ans Basteln. yuppie yae! Die Kfz-Mechaniker, die extreme competent waren und vermutlich zum ersten mal an einer Yamaha geschraubt haben, diagnostizierten nach anfänglichen Horrorszenarien: Batterie, Starter, Relais kaput, dann eine defekte Batterie inclusive defektem Starterrelais. Eine neue Batterie liess sich besorgen und in das Mopped verpflanzen. Das Relais konnten unsere Mechaniker nur kurzzeitig wieder zum Leben erwecken. (Tja, ist halt keine russische Grossraumtechnik.) und da ein Import aus deutschen Landen jede Reisekasse sprengt (Ein Dank an unseren deutschen Kfz-Experten Sven für seine schnelle Info zum Thema Teileversand in die Ukraine.), wurde das Teil einfach überbrückt und so gondeln wir seitdem mit defektem Relais durch die Lande. Dieser Zwangsaufenthalt endete mit Autogrammstunde für die Mechaniker und mit einer Routenänderung: Kiew fällt aus, da wir sonst zeitliche Problem emit unseren Visas bekommen würden. Somit peilten wir nach Kamenz die Krim an.

Ein Unterfangen, das nicht immer einfach war. Ausschilderungen sind Mangelware und so half häufig nur Durchfragen weiter. Zum Glück artet es nicht jedes mal, wie in Kalusch geschehen, in einen Tumult aus, wo die Leute sich fast schlugen, da jeder einen sicheren, besseren und schöneren Weg kannte. Beim Thema besserer Weg gehen die Meinungen stark auseinander. Dachten wir anfangs, nach dem Ural (Урал) hören die asphaltierten Strassen auf, so beginnt dies bereits in der Ukraine. Seit Jahren wurde an den Strassen nichts mehr gemacht und so verwundert es keinen, dass die eigentliche Piste gar nicht mehr befahrbar ist. Schlaglöcher und Spurrillen so tief, dass man sich darin verstecken kann, führen häufig zu einem 2. Weg neben der eigentlichen Strasse, der dann meisstens etwas besser befahrbar ist. Wenn dies dann nicht mehr geht, werden Hauptstrassen kurzerhand über Wiesen- und Feldwege oft kilometerlang abgelöst. In den Dörfern existieren vielfach nur ausgewaschene Sandwege, die, wenn wir nicht bereits durch die Sonne schwitzen, uns beim hochkonzentriertem Langfahren dann endlich das Wasser aus den Poren trieben. Aber so haben wir mit relative wenigen Umfallern die abenteuerlichsten Pisten gemeistert und sind über Tomaschpil, Balta, Mikolaew und Xercon dann auf der Krim gelandet.

Ist der Norden noch recht untouristisch, so stehen an der Südküste von Yalta bis Aluschta eine Bettenburg nach der anderen. Dass Lenin die Krim als Erholungsort für das arbeitende Volk ernannt hat, ist hier mehr als deutlich zu spüren. Wie im ganzen Land, so findet man auch hier wieder Rohbauten von Hotels, Industrieanlagen und Eigenheimen, die nie fertig gebaut worden sind.

Und nun kommt sicherlich eine der spannendsten Fragen: Wie verständigen sich die Jungs dort? Zum Glück durften wir die Schulausbildung der DDR geniessen, in der Russisch ein Pflichtfach war. Nur leider liess sich dadurch der Einrostprozess auch nicht stoppen und so ist täglich fleissiges Lernen und Üben angesagt. Erschwerend kommt noch hinzu, dass bis auf die autonome Republik Krim im ganzen Land ukrainisch gesprochen wird, das zu 70% aber dem Russischem gleichkommt. Auch hatten und haben alle Ukrainer in der Schule Russisch, tun sie sich doch sehr schwer damit, es zu sprechen. Kommen wir bei einer Unterhaltung mit der Sprache nicht weiter, so helfen uns Hände und Füsse. Am Ende gewinnt die Sympatie und die braucht bekanntlich keine Worte.

Bei all unseren Begegnungen mit den unterschiedlichsten Personen, bleibt natürlich der Kontakt mit den Ordnungshütern nicht aus. Doch ausser dem obligatorischem "Dokumentie", waren die Moppeds häufig interessanter als die Papiere und so konnten wir dann auch immer nach wenigen Minuten unsere Fahrt fortsetzen.

Auch machen einem zuweilen fehlende Termine zu schaffen. So wollten wir auf der Post ein Paket aufgeben und laut der Öffnungszeiten waren wir genau richtig. Da die Dame aber beteuerte, sie habe schon alles zugemacht und wir sollten morgen wiederkommen, glaubten wir an entsprechende Arbeitsumlust. Wie sich aber kurz danach rausstellte, hatte die Frau am Schalter Recht. Nur unsere Uhren gingen noch nach der alten Zeit. So entdeckten wir zufällig nach 10 Tagen, die für uns ungewöhnliche Uhrumstellung bei einer Reise auf dem Landweg innerhalb Europas.

Nach über 2600km in diesem faszinierenden Land verlassen wir am 4.6. mit der Fähre die Halbinsel Krim. Zuvor wird die ukrainische Ein- und Ausreisebehörde noch auf eine harte Probe gestellt. Vermutlich wissen die einen Grenzer nicht, was die andern brauchen und so fehlte uns prompt ein Dokument, welches wir noch nie gesehen hatten, und ohne welches wir nicht ausreisen durften. Zähes Verhandeln, Warten und die Fähre im Nacken der Grenzer liessen die Fähre mit uns nach einer Stunde auslaufen. 30 Minuten später began das Abenteuer Russland.

Bis zur Fortsetzung

 

Russland I
Kerch (Керч) - Karatschajevsk, 4. - 10. Juni, km 4600

Nun liegt schon ein guter Monat hinter uns. Im Nachhinein müssen wir zugeben, wir haben in Polen und der Ukraine ganz schön gebummelt - frei nach dem Motto: Der Weg ist das Ziel. Doch besonders die ukrainische Gastfreundschaft machte es uns immer wieder schwer, die Sachen zu packen und weiter zu fahren. Jetzt steht auf unserem Reiseplan ein neues Land, welches allein schon durch seine Größe und Weite unwillkürlich Neugierde aufkommen lässt.

Die Grenzformalitäten auf der russischen Seite ziehen sich ebenfalls in die Länge, und so ist es mittlerweile stockfinster, als wir nach mehrmaligem Gepäck abbauen und aufladen endlich den Grenzhof auf der russischen Seite verlassen dürfen. Aha, das ist also Russland! Wie sie sehen, sehen sie nix. Doch! Nach 10km Asphalt gibt es die erste russische Grenzkontrolle mitten in der Nacht. Na das kann ja heiter werden... Kein Problem, wir dürfen weiter.

Etwas genervt durch die nun verspätete Nachtlagersuche in völliger Dunkelheit finden wir nach einigen Anläufen ein akzeptables Plätzchen. Etwas Schmunzeln müssen wir schon, als wir am darauffolgenden Morgen feststellen, dass wir unwissendlich 300m vor dem Meer gestoppt haben.Der neue Tag löst unsere Spannung. Nun können wir gelassen über Russlands Straßen rollen. Die Qualität des Asphalts ist entgegengesetzt zu der Ukraine ausgesprochen gut. Vergebens suchen wir die uns allzu vertrauten Brunnen auf den Bauernhöfen oder im Dorfzentrum. Hier gibt man sich schon etwas luxuriöser. Pumpen befördern das lebensnotwendige Nass aus der Tiefe. Auch gewären viele Höfe keinen Einblick mehr, wenn man von der Straße her schaut. Hochgeschlossene, sichtbehindernde Zäune grenzen die Gehöfte zur Straße hin ab. Hier gibt es viel mehr Verkehr. Konnte man in der Ukraine die Autos, wie z.B. Lada, Moskwitsch oder Sapporosch noch zählen, mischen sich hier sogar auffällig viele westliche Marken ins Straßenbild. Zumindest im äußersten Westen des großen Russlands ist die Infrastruktur deutlich besser entwickelt, als wir es uns immer vorgestellt hatten.

Frühzeitig am Abend beginnen wir mit der Suche eines Rastplatzes. Ein Schlagbaum quer über der Straße hindert uns an der Weiterfahrt. Unentschlossen, ob wir umdrehen, unterhalten wir uns ersteinmal mit Ivan, der, wie er uns erzählt, eine Art Förster und Wachmann zugleich des vor uns liegenden Waldes ist. Als wir ihm klarmachen, dass wir nur einen Platz für unser Zelt suchen, lässt er plötzlich sein Misstrauen uns gegenüber fallen und zeigt uns eine hübsche kleine Lichtung in seinem ach doch so geheimnisvollen Wald. Es dauert nicht lange und schon stehen Zelt und Moppeds nebeneinander. Während wir unsere abendliche Mahlzeit kochen, gesellt sich Ivan zu uns und erzählt uns von sich und seinem Zauberwald. Das gesamte Waldgebiet ist eingezäunt. Es diente früher verschiedenen Staatsoberhäuptern als Jagdareal. Heute kommen bestenfalls noch zahlungskräftige Urlauber und halten hier ihre Flinte in den Wald. Später lernen wir noch Ivans Freund Fjodor kennen. Beide ziemlich schnell im Tee wollen uns abraten, den Kaukasus (Кавказ) zu besuchen. Besonders Fjodor muss wohl schlechte Erinnerungen mit diesem Gebiet verknüpfen. Es ist nett, mit den beiden zu plaudern. So bleiben wir zwei Tage und fahren dann weiter südlich dem Kaukasus entgegen.

Zur Zeit beschäftigt uns ein Problem, welches wir doch ernst nehmen müssen. Es gehört immer noch zu den russischen Einreiseformalitäten, sich innerhalb der ersten drei Werktage im Land registrieren zu lassen. Also unternehmen wir einen Versuch und bitten in einem Hotel in Krasnodarsk die Rezeptionsdame uns diesen Stempel in die Pässe zu geben. Eine Registrierung wäre nur mit einhergehender Hotelübernachtung möglich. Da man uns hier im Hotel aber unser Zelt nicht aufbauen lässt, kehren wir unverrichteter Dinge auf die Straße zurück. Am nächsten Tag wird es höchste Zeit. In Maikop unternehmen wir nochmals einen Hotelversuch mit gleichem Resultat. Dann suchen wir das örtliche Einwohnermeldeamt auf, wo man uns von einem ins andere Zimmer schickt, aber einen Stempel will uns keiner geben.

Genervt kümmern wir uns erstmal um wichtigere Dinge. Auf der Straße mitten im Stadtzentrum geraten wir wieder in eine der unzähligen Polizeikontrollen. Besonders in diesem Bezirk ist die Präsenz der Straßenpolizei extrem hoch. In Maikop steht an jeder Kreuzung ein Ordnungshüter. Unsere Papiere maßnehmend hat Mr. Wichtig anscheinend ein Problem mit unserem internationalen Kfz-Schein. Angenervt durch die missglückten Registrierungsversuche lassen wir uns aus der Ruhe bringen und rasten aus. Anscheinend hat hier in diesem Land die linke Hand keine Ahnung, was die rechte tut. Wir lernen schnell, dass diese russischen Polizeikontrollen nicht ernst zu nehmen sind und empfinden manchmal sogar etwas Mitleid.

Städte sind furchtbar anstrengend und so atmen wir tief durch, als wir auch diese Stadt hinter uns lassen dürfen. Einige Tage danach überfahren wir auf geradliniger Strecke eine durchgezogene weisse Linie, an dessen Ende uns wieder zwei Uniformierte zur Kasse bitten wollen. Mit reichlich Polizeierfahrung im Gepäck ziehen wir wieder unsere ja nje panimaju - Nummer durch. Der Vorteil in dieser besonderen Verhaltensweise besteht darin, dass wir durchaus verstehen, was die Jungs für ein Problem mit uns haben, doch wir lassen sie im Glauben, ihre Sprache nicht zu beherrschen und noch dazu außerordentlich begriffsstutzig zu sein, und so müssen wir uns ernsthaft das Lachen verkneifen, als einer der Polizisten aussteigt und wie besoffen mitten auf der Straße über seine blöde durchgezogene Linie tänzelt. Auch hier reicht unser Mitleid nicht für ein Taschengeld an die beiden Jungs. Schade eigentlich. So langsam finden wir Spass an diesen Begegnungen.

Wir fahren weiter in den Kaukasus (Кавказ) hinein und erfreuen uns an der schönen Bergwelt. Grasbewachsene Hügelketten wechseln mit vereinzelten Wäldern bis wir unseren Rastplatz fest im Visier inmitten einer ausgedehnten Hügellandschaft einen rechtsabgehenden Sandweg befahren, der uns immer tiefer weitab der Hauptstraße in diesen unendlich grünen Wiesenteppich führt. Gerade haben wir die Moppeds abgestellt, als uns eine riesige Viehherde mit ihren dazugehörigen Schäfern passiert. Wir bitten darum, Fotos machen zu dürfen, da die Drei zu Pferd original kaukasisch anmuten. Während sie sich mit uns auf Russisch unterhalten, verständigen sie sich untereinander in einer uns fremden, sehr hart klingenden Sprache. So klingt also Kaukasisch.

Als wir ihre Adressen haben wollen, um ihnen später die Bilder schicken zu können, sind wir total begeistert, dass nur einer von ihnen des Schreibens mächtig ist. Das Stück Papier wird an ihn weitergereicht, und er kritzelt mit viel Mühe und Fehlern ihre Adresse darauf. Unwillkührlich müssen wir an Kessy und Dunja denken (zwei reinrassige kaukasische Schäferhunde sehr guter Freunde), die sich hier gut vorstellbar pudelwohl fühlen würden (Eigentlich müsste es ja schäferhundwohl heißen.). Wir nehmen uns vor, später den beiden Hundedamen unsere Fotos ihrer eigentlichen Heimat zu zeigen, die sie ja noch nie gesehen haben.

Als die Sonne 10cm davor ist sich zu verabschieden, klettere ich auf den höchsten Hügel in der Umgebung, um festzustellen, ob einer der Kaukasen Recht hatte, als er meinte, dieser Weg führe direkt zum Elbrus (Эльбрус), dem höchsten Berg des Kaukasus (Кавказ). Auf der Landkarte ist es noch ein weiter Weg dorthin, doch nachdem ich die Hügelkette erklommen habe, will ich meinen Augen nicht trauen. Über einer sich auffallend geradlinig dahinstreckenden Gebirgskette erhebt sich vor mir majestätisch in einen dicken Schneemantel gehüllt der besagte Elbrus mit seinen stolzen 5642m. Faszinierend, ehrfürchtig und atemberaubend dieser Anblick. Durch die sich rötende Abendsonne färbt sich der Schneeteppich um den Berg in ein durchdringendes Rosa. Sofort muss ich an den Monte Rosa in den italienischen Alpen denken und mich überkommt tiefste Traurigkeit, dass ich diesen Augenblick nicht zusammen mit meiner besseren Hälfte erleben kann. Allein ist dieser Moment nur halb so viel wert. Wir beschliessen für den kommenden Morgen um 6:00 Uhr aufzustehen, um ein paar Fotos seiner Majestät zu machen.

Widerwillig quälen wir uns aus den Schlafsäcken und freuen uns schon während des Hinmarsches auf den heissen Kaffee danach. Die Bilder werden super und so fahren wir an diesem Tag wieder zufrieden aus dem Kaukasus hinaus. Ein Blick auf unsere Russlandkarte rüttelt uns wach. Wir müssen bis zum 1. August am Baikal (Байкал) sein. Die tausende von Kilometern zu schaffen bedeutet Stress pur. Spätestens jetzt begreifen wir, dass dieses Jahr für uns alles andere als Urlaub sein wird.

Euer Lo & Mo

 

Russland II
Kaukasus (Кавказ) - Erschov, 10. - 21. Juni, km 6600

Der Kaukasus im äußersten Südwesten Russlands hat uns schon schwer beeindruckt. Besonders das Erlebnis mit den Kaukasen vergessen wir nicht so schnell. Doch unser unwillkürlich entstandener Zeitplan drängt. In ca. 50 Tagen müssen wir 8000km schaffen. Da wir aber neben dem Motorradfahren auch noch unzählige andere Aufgaben haben, z.B. euch diese Reiseberichte zu verfassen und in den Computer zu tippen, entsteht allein durch den engen Zeitrahmen ein Gefühl des "nie richtig Zeithabens" und so ist es nicht verwunderlich, dass dieser Bericht Euch erst jetzt erreicht, wo wir eigentlich schon längst in der Mongolei weilen. Mit anderen Worten, wir haben in den letzten drei Monaten wirklich nicht gepennt.

Nach dem Verlassen des Kaukasuses fahren wir wieder durch wenig interessantes Flachland. Große Felder durch Gebüsch- und Baumstreifen unterteilt, eröffnen sich vor uns, soweit das Auge reicht. Durch unsere Zeit- und Geldsparmaßnahmen reifte in uns der Beschluss, Kasachstan zu umfahren. Also geht unsere momentane Reiseroute gen Norden. Immer wieder versuchen wir einen Bauern Horst für uns zu gewinnen, aber in dieser Region scheint es schier unmöglich, einen aufgeschlossenen Menschen zu finden, der uns ein Stückchen seiner Wiese für eine Nacht leiht.

Weiter nördlich fahren wir besonders dicht an Kasachstan vorbei, wo wir wenn auch auf russischem Boden einen Eindruck von kasachischer Steppe bekommen, denn die Felder hören auf und weit und breit sieht man nur noch Steppengras. Bis zum Horizont ist nicht die kleinste Erhebung wahrzunehmen. Es regnet hier sehr selten, aber unsere Annahme, nur noch wenig Leben rechts und links der Straße zu finden, wird negiert, denn bei einem aufmerksamen Blick in's Steppengras bemerkt man ein Kriechen und Krabbeln, Schwirren und Summen, was dem Gebahren auf deutschen Wiesen in nichts nachsteht. Zuvor konnten wir schon eine sich sonnende Schlange auf dem Asphalt beobachten, doch als wir eines Abends auf der Zeltplatzsuche einen Sandweg durch die Steppe folgen, muss ich zwangsweise meine Maschine stoppen, weil sich 5m vor mir eine vierköpfige Schlangenfamilie ineinandergekringelt mitten auf dem Weg die Sonne auf den Pelz brennen lässt. Wohl gestört durch die Motorenvibrationen unserer Maschinen verschwindet eine nach der anderen im Steppengras. 500m weiter schlagen wir unser Zelt auf.

Anfangs habe ich immer noch mit meinem Schlangenerlebnis zu tun und wähle so äußerst sorgfältig meine Schritte im Steppengras, doch kurze Zeit später beschäftigt uns ein weit besorgniserregendes Problem. Während wir die abendliche Mahlzeit zubereiten, nähert sich mit unberechenbarer Geschwindigkeit eine kleine unscheinbare Gewitterfront. Lo ist gerade am Kochen, als ich vorsorglich alle überflüssigen Dinge im Zelt verstaue. Die bekanntliche Ruhe vor dem Sturm spielt uns diesmal übel mit. Wir können gar nicht so schnell gucken, wie der plötzliche Sturm losbricht. Begleitet von kirschgroßen Hagelkörnern fürchten wir um unsere Zeltaußenhaut. Der Wind kommt natürlich von der windungeschützen Seite und drückt frontal mit brutaler Gewalt gegen die Seitenwand unseres Tunnelzeltes. Im Zelt kauernd, die Zeltstangen von innen festhaltend, den anfänglichen Schreck noch etwas in den Gliedern bemerken wir zu spät, dass das Schlafzelt eine besorgnisfördernde Form angenommen hat. Die Zeltwände werden zusammengedrückt und so dringt Wasser ins Zeltinnere.

Ein Glück verschwindet das Gewitter so schnell, wie es gekommen war. Draußen begutachten wir den Schaden. Durch den enormen Druck hat sich die hintere seitliche Spannleinenverankerung am Zelt losgerissen, somit hatte die Zeltstange keinen Halt mehr und ist zerbrochen. Die scharfen Splitter der Aluminiumstange haben natürlich noch ein Loch in die Zeltstangenlaschen gerissen, so dass das Disaster perfekt ist. Hier gilt ein herzlich betonter Dank an den Zelthersteller Tatonka, wir lernen wieder mal, was teuer ist, muss nicht gleichzeitig von hoher Qualität sein.

Wir reparieren unser tolles Zelt notdürftig und fahren weiter. Bald passieren wir die Stadt Wolgograd (Волгоград) (ehemals Stalingrad). Sie ist nur 4km breit aber dafür erstreckt sie sich 75 km entlang der Wolga. Ich entwickle eine seltsame ehrfürchtige Assoziation, wenn ich mir versuche vorzustellen, dass der damalige deutsche Wahn bis zu dieser Stadt vordringen konnte und meine Sympatie für die Wolgograder wächst um ein Vielfaches mehr, wenn wir uns auf der Straße mit ihnen unterhalten. Trotz der gemeinsamen geschichtlichen Vergangenheit sind sie uns gegenüber äußerst freundlich und wünschen uns viel Glück bei der Weiterfahrt.

Mit der Wolga kommt der Regen und immer wieder versuchend, dem Regen auf keinem Fall zu entgehen, folgen wir einige Tage dem Lauf des mächtigen Flusses. Nach mehreren Regentagen kriegen wir die Feuchtigkeit und den Mief nicht mehr aus den Klamotten und so bitten wir um Wind, dass jene doch trocknen mögen und es kommt Wind. Es kommt viel Wind. Da Brücken bei den Russen Mangelware sind, stehen wir wieder mal eines Tages am Ufer der Wolga, wartend auf die Fähre, die aber einen ganzen Tag auf sich warten lässt. Es kommt viel Wind aber keine Fähre. Das eine schließt eben das andere aus.

Zähneknirschend wählen wir den 300km langen Umweg. Auf der anderen Seite angekommen, beschäftigt uns das nächste Problem. Die Russen haben vergessen, den Asphalt auf die Straße zu legen. Wir haben ja Enduros, meinen wir und kommen erst auch ganz gut auf dem Sandweg voran, bis uns der seit zwei Tagen vermisste Regen wieder die Ehre erweist. Das lockere Befahren des 20km langen Sandweges endet in einer Schlammschlacht. Der Regen weicht den Boden so sehr auf, dass wir letztlich das Gefühl haben, Schmierseife unter den Rädern breitzufahren. Doch dem nicht genug, denn der Modder hat starken lehmigen Charakter, so dass wir irgendwann Gas geben, aber nichts passiert, denn der gesamte Radlaufbereich hat sich Stückchen für Stückchen mit dieser Art Lehm zugesetzt. Mit einem Stock die Moppeds vom Lehm wieder befreiend, treibt es uns den Schweiß in die Augen.

Das ist also Russland! Was erwartet uns dann erst in der Mongolei?

Euer Lo & Mo

 

Russland III
Erschov - Tscheljabinsk (Челябинск), 31. Juni - 3. Juli, km 8600

Warum sind wir bloß nicht nach Shanghai geflogen? Wer ist bloß auf die blöde Idee gekommen, die Strecke auf dem Landweg und dann noch mit dem Mopped zurückzulegen? Wenn ich mir am Morgen die Landkarte zur Hand nehme und die gestrige Etappe, die Lo immer sorgfältig mit Datum und Streckenverlauf einträgt, ansehe, befällt mich das Gefühl, ich würde nie ankommen. Russland ist ein riesiges Land! Wenn ich dann die Europa-Asien-Karte aufschlage, ist die Entfernung bis zum Baikal (Байкал) unbegreiflich weit. Die Distanz nach Hause wäre viel kürzer.

Nach den ersten Erlebnissen ohne Asphalt, die uns gleich mit spielender Leichtigkeit Schwierigkeitslevel 10 testen liessen, stehen wir nun vor einem nächsten eher kleinen Etappenziel. Die Stadt Samara (Самара) begrüsst uns mit Regen. Nach einem Monat Sunnyboywetter in der Ukraine verlieren wir nun so langsam die Begeisterung für das nasse und kühle Element von oben. Aber man hat Erbarmen mit uns.

Mitten in der Stadt lernen wir Alexej kennen. Er ist etwas jünger als wir. Nach anfänglichem Beschnuppern lädt er uns zu sich in seine nostalgisch anmutende Plattenbauwohnung ein. Nun ist der Regen gar nicht mehr so zermürbend. Tags darauf zeigt uns unser neuer russischer Freund seine Stadt. So bekommen wir einen intensiveren Eindruck von Samara (Самара), als wenn wir nur durchgefahren wären. Das Zentrum wirkt hell, geschäftig und freundlich auf uns. Mehrere kleine Baustellen zeigen, dass hier Veränderung stattfindet. Mit ihrer Uferpromenade entlang der Wolga gibt sich die Stadt sogar etwas locker und unbeschwert. Auf den zahlreichen Bänken sitzen viele junge Leute und knallen sich die Birne mit Bier und Wodka zu. So amüsiert man sich eben hier in Samara (Самара). Russische Popmusik dröhnt aus den Boxen der anliegenden Kneipen. Man ist gut drauf, kein Wunder bei einer solchen lauen, angenehmen Sommernacht.

Als wir am folgenden Tag die Sachen packen, lädt uns Alexej abermals zu einem Besuch bei seinen Eltern ein. Da sein Heimatort Buruguslan ungefähr auf unserer Route liegt, fällt es uns schwer, nein zu sagen. Dort angekommen, stürzt uns die russische Gastfreundschaft erneut in tiefe Verwunderung. Auch Alexejs Familie ist uns gegenüber ausgesprochen freundlich und nett. Zuerst dürfen wir die russische Banja (Sauna) geniessen, um danach gemeinsam mit der Familie Abendbrot zu essen. Schweren Herzens verabschieden wir uns am nächsten Morgen, dankbar in so weiter Ferne der eigenen Heimat so herzlich willkommen geheissen worden zu sein. Vor uns steht ein weiteres grosses Abenteuer: Der Ural (Урал)!

Nach Samara (Самара) und Buruguslan fahren wir durch immer abgelegenere Dörfer. Mir scheint es, als dringen wir immer tiefer in die russische Seele ein. Schon kündigen sich vereinzelte Birkenwäldchen an. Saftige Wiesen komponieren ihr frisches Grün zu den graziösen, schlanken Birkenstämmen in zartem Weiss. In einem seichten Tal liegt ein verträumtes original russisches Dörfchen versteckt im Nebel. Ja! Aus dieser Gegend muss die russische Babuschka mit ihrem farbenfrohen Kopftuch kommen. Hier finden wir bestimmt die uns so begeisternden russischen Holzhütten mit ihren lieblichen blauweiss bemalten Fensterläden.

Die Hauptverbindungsstrassen verlassend kämpfen wir uns auf immer kleiner werdenden Strassen durch, bis uns mit einer überzeugenden Selbstverständlichkeit der Asphalt auf einmal im Stich lässt. Klar! Wie sollte es hier am Arsch der Welt noch den uns so verwöhnenden Asphalt geben? Mit den Sandwegen kündigen sich auch schon die ersten Ausläufer des Urals an. Mächtige Wälder ziehen sich die Berghänge empor. Der Weg wird plötzlich etwas unwegsam, da wir uns mit einem selbstbewussten, sich immer wieder behaupten wollenden kleinen Bach den Weg teilen müssen. Die auf der kleinen Trasse befindlichen Kraftfahrzeuge müssen sich der natürlichen Auslese stellen. Mehrere Kilometer weiter passieren uns nur noch grosse, vor PS nur so strotzende LKWs. Abends nutzen wir die russische Birke für unser nun schon fast tägliches, uns immer wieder an die Luisenstrasse erinnerndes kleines Lagerfeuer. Bären und Wölfe müssen sich hier pudelwohl fühlen, wobei im Gegensatz dazu ein Pudel hier wohl hoffnungslos verloren wäre. Trotzdem verläuft die Nacht ruhig. Das ist immer wichtig, um den nächsten Tag unbeschadet in Angriff nehmen zu können.

Der selbige fordert dann auch unsere ganze Konzentration, Kraft und Geduld. Anfänglich kommen wir auf den trockenen, verdächtig lehmig aussehenden Waldwegen noch voran. Dann zeigen uns mächtige Gewitterwolken, wie klein und hilflos man doch als dummer Motorradtourist plötzlich dastehen kann, wenn dem da oben mal eben danach ist. Ein Gewitter löst das andere ab und verwandelt unseren einzigen Verbindungsweg in die von uns schon prophezeite Schlammlandschaft. Ähnlich, wie in der letzten Episode werden wir langsamer und langsamer. Von Innen nässt der Schweiss, von aussen der natürliche Niederschlag. Letztlich tippeln wir nur noch voran, immer das Vorderrad im Auge, auf das es nicht wegrutsche. Im Gegensatz zur letzten Schlammschlacht erhöht sich nun noch der Level um ein paar Stufen, da die der natürlichen Auslese doch entkommenen LKWs tiefe Fahrspuren hinterlassen haben. Manchmal gibt es einen Weg drumherum aber manchmal müssen wir auch mitten durch die tiefen Pfützen, wobei unsere Seitenkisten schon mal leicht an den Kanten der Fahrrinnen aufsetzen, was unsere schweren Maschinen sofort aus dem Gleichgewicht bringt.

Eine besonders schwere Passage hoffen wir umfahren zu können, da unmittelbar davor eine Weggabelung unsere Gedanken verführt. Erst helfen wir einer russischen Touristenfamilie ihren immer wieder von der Fahrspur weg rutschenden Lada bergauf zu buggsieren. Dann tippeln wir selber vorsichtig bergab. Auf halber Strecke drehen wir wieder hilflos am Gas. Die Nummer mit dem Radlaufbereich kündigt sich wieder an. Mit einem Stock ungeschickt den Lehm von den Rädern kratzend, läuft uns der Schweiss. Ich muss die Augen zusammenkneifen, dass die hineinlaufenden Schweissperlen mir nicht den Blick vernebeln. Die Situation scheint aussichtslos, doch irgendwann ist es geschafft. Der Weg wird besser, der Regen hört auf, und der Abend beendet die amateurhafte Qual.

Es ist schon spät, als wir in einem kleinen verschlafenen Baskendorf den einzigen Dorfkonsum bereits verschlossen vorfinden. Wir bringen unsere letzte Energie auf, den umherstehenden, besoffenen Bauern klarzumachen, dass sie vielleicht die Verkäuferin nochmals herbitten könnten. In unserer Verzweiflung erfüllt man uns sogar unser Anliegen, doch im Lebensmittelgeschäfft gibt es nur noch Wasser. - Macht ja nix, kann ja jedem mal passieren! Erschöpft von unseren Tagesstrapazen kochen wir unsere Nudeln, um nach dem Essen nur noch in die Schlafsäcke zu kippen.

Der nächste Morgen beginnt mit kurzem Vorspiel. Ohne Frühstück fahren wir sofort los, um hoffentlich schnell ein Dörfchen zu erreichen in dem wir unsere ausgesetzte Mahlzeit nachholen können. Nach dem zweiten Anlauf sitzen wir dann irgendwann mitten im Urwald des Uralgebirges auf zwei dicken Holzklotzen und essen Fisch auf Zwieback. Danach wartet wieder ein Gewitter nach dem anderen auf unser Erscheinen und so kämpfen wir uns Tag für Tag 50km weiter durch unser erstes Trainingsgebiet Namens Ural (Урал).

Euer Lo & Mo

 

Russland IV
Ural (Урал) - Novosibirsk (Новосибирск), 1. - 13. Juli, km 10000

Am 1.7. stehen wir neben der Fahrbahn vor einem grossen Betonobelisk mit der Aufschrift Asia. Fast hätten wir ihn übersehen. Er markiert die kontinentale Grenze zwischen Europa und Asien. Komisch, die Vegetation jenseits der Markierung sieht gar nicht asiatisch aus. Mein Blick fällt auf das Tacho: 8000km! Für ca. neun Monate werden wir also unser ach so vertrautes Europa verlassen. Ein Versuch, der temporären Situation ein würdiges Bewusstsein abzuverlangen, scheitert im Ansatz. Doch irgendwie freue ich mich doch, es bis hierher mit meiner Yami geschafft zu haben.

Nach einigen Beweisfotos geht unser Weg weiter, raus aus den letzten Ausläufern des Uralgebirges. Nicht lange und uns umgibt wieder ebenes Flachland. Wo wir im Ural (Урал) noch unasphaltierte Verbindungswege befahren konnten, zwingt uns nun die sich auf das Nötigste reduzierte Infrastruktur des russischen Verkehrsnetzes auf eine einzige Transittrasse, welche den Westen mit dem Osten verbindet. Die sich uns nun eröffnende sibirische Weite präsentiert sich links und rechts der Strasse in voller Schönheit. Ein Naturfreak, welcher stets auf der Suche nach neuen, interessanten Gewächsen sich in diese Landschaft verirrt, würde wohl bei Zeiten vor Verzweiflung ins sibirische Gras beissen, so überzeugend kombiniert sich hier Monotonie mit Monotonie. Ich wusste gar nicht, dass es so viele Birken auf der Welt gibt. Sie scheinen alle ihren Hauptwohnsitz in Sibirien zu haben. Jedenfalls gelinkt es mir auch mit grösster Anstrengung nicht, eine weitere Baumart zu entdecken. Auch finde ich jetzt meine Antwort auf unsere alte Frage, warum wir während unserer Uraldurchquerrung so viele Gewitter über uns ergehen lassen mussten. Das Wasser dazu ist hier in Genüge vorhanden. So weit das Auge blicken kann, stehen trauernde Birken neben ihren abgestorbenen Artgenossen, welche unschwer an ihren kahl in die Höhe ragenden Stämmen zu erkennen sind. Sie haben sich trotz Warnung zu weit in den alles umgebenden Sumpf gewagt.

Doch nicht nur Birken sind ein markantes Merkmal des sibirischen Sumpflandes. Weitaus kleinere, kaum sichtbare, des Fliegens mächtige, äusserst lästig werdende Vertreter der Fauna fühlen sich hier pudelwohl. Nichtsahnend suchen wir den ersten Abend von hiesiger Landschaft umgeben in einem Birkenwald ein Notplätzchen, da überall sonst um uns herum der morastige Untergrund ein Zeltaufschlagen unmöglich macht. Der Anfahrtsweg ist aufgeweicht vom Regen. Als ich zu Fuss einen durch den Wald führenden Weg auf seine Befahrbarkeit prüfen will, begrüssen mich Mücken über Mücken. Trotz aufgesetztem Motorradhelm greifen sie mich förmlich an. Ich muss regelrecht aus dem Wald flüchten um ihrer Aggressivität zu entkommen. In der Dämmerung schlagen wir widerwillig in diesem Waldareal unser Zelt auf. Während wir Abendbrot kochen, reichert immer wieder eine abstürzende Fleischbeilage unsere heute eigentlich vegetarische Kost an. Mein besorgniserregender Blick geht zur Seite. Der Ärmel meiner Motarradjacke ist so überfüllt mit Mücken, dass ich die Farbe jener nicht mehr erkennen kann. Wenn mir nach dieser Reise noch einmal jemand erzählen will, wir hätten in Deutschland eine Mückenplage, kaufe ich ihm freiwillig ein Ticket nach Sibirien.

Glücklicherweise verrät uns kurz darauf ein Schäfer seine Wunderwaffe gegen diese extrem plagenden Blutsauger. Wir decken uns mit Kamarex ein und können so teilweise sogar manche Abende ohne Moskitonetz über dem Gesicht verbringen.

Tagelang nichts anderes als Moor, Birken, Wiese und Mücken. Jetzt verstehe ich auch, warum man früher die Bösewichte ins Exil nach Sibirien geschickt hat. Und wir kommen hier freiwillig her.

Eines Tages müssen wir uns wieder mal durch die immer noch unvermindert anhaltenden Sommergewitter kämpfen. Vor uns eröffnet sich mit einem Mal ein schier undurchdringlich scheinender Regenvorhang. Kurz darauf geht ein heftiger Wind und der extrem intensive Niederschlag peitscht gegen unserer Helme. Überall sieht man Blitze einschlagen. Die Wasserlachen auf der Strasse verwandeln sich in Struzbäche und die sich urplötzlich verschlechternde Sicht zwingt uns zu niedrigster Geschwindigkei. Die Situation wird so unüberschaubar, dass ich mir nur noch sage, jetzt nur nicht anhalten und ein Bein auf die Strasse setzen, man weiss ja nie. Die letzten Hirnströme dieses Gedankens sind noch nicht verflossen, da passiert das Unglaubliche: Ein unbeschreiblich heller Strich erleuchtet den sonst so düsteren Himmel und bildet an seinem unteren Ende eine wahnsinnig, intensiv leuchtende Lichtkugel. Den Bruchteil einer Sekunde meine ich diese Erscheinung auf mich zukommen zu sehen, aber kurz darauf lässt mich ein brachiales Krachen trotz intensivster Konzentration zusammenfahren. Sofort wird mir klar, ca. 100m vor uns ist soeben ein Blitz in einen Strommast mitten auf dem Feld stehend eingeschlagen. Alles spielte sich innerhalb einer Sekunde ab, doch ich hatte den Eindruck, das für diesen kurzen Moment die Zeit stehengeblieben wäre.

Unsere sich darauf einfaltende Begeisteurng trotzt jeder Beschreibung. Wie eine Ameise komme ich mir vor gegenüber dieser unendlichen Kraft. Der Mensch ist grössenwahnsinnig, sich mit den Kräften der Natur anzulegen. Ich bin übewältigt mit welcher souveränen Leichtigkeit, Eleganz und Perfektion sich Gott direkt vor meinen Augen offenbarte. Dieses Erlebnis war im wahrsten Sinne des Wortes "erleuchtend". In Tagen intensivster Monotonie hebt sich solch eine Ereignis besonders deutlich ab.

Auf unserem Weg nach Sibirien trafen wir nie irgendwelche Globetrotter. Dieser Umstand soll sich geschwind ändern. Erst ein Schweizer Fahrradfahrer, dann eine tschechisches Pärchen auf dem Motorrad und zu guter Letzt hält auf einem Parkplatz neben uns ein merkwürdiges Gefährt. Wenn ich nicht mitten in Sibirien ware, hätte ich gesagt, das ist eine alte Ente mit Kastenaufbau. Doch der Konjunktiv meines Satzes beweist mir sein fehles Ercheinen. Tatsächlich. Ein Ente mit Kastenaufbau, gefahren von zwei Deutschen Sylvia und Gisbert, steht vor unseren Augen. Äusserst überrascht sich mit deutsch verständigen zu können, merken wir schnell, dass die beiden aus dem richtigen Holz sind. Sie überreden uns, für den heutigen Tag die Segel zu streichen und mit ihnen zu campen. So fahren wir sogar noch 10km zurück, um sichtgeschützt seitab der Trasse einen deutschen vier Köpfe zählenden Zeltplatz zu eröffnen.

Am Abend prasselt ein Lagerfeur aus Birkenholz vor sich in. Viel Information, Humor und Sympathie lässt die Unterhaltung mit den beiden bis tief in die Nacht nicht abbrechen. Am nächsten Tag beim Frühstück das Gleiche. Doch keiner will so recht aufbrechen, zu angenehm ist uns ihre Bekanntschaft und Gegenwart. Wir beschliessen spontan noch einen Tag hier zu bleiben. Den Abend begleitet meine Gitarre einige unserer Lieder und der nächste Morgen bringt uns abermals in Verlegenheit. Aber unsere Unentschlossenheit endet in einem weiteren deutschen Campingplatztag zwischen Omsk (Омск) und Novosibirsk (Новосибирск). Die Zwei sind schon zwei Jahre lang unterwegs und haben ebenso wie wir ihre Erlebnisse, Eindrücke und Schnappschüsse auf ihrer Seite www.sylviaundgisbert.de veröffentlicht. Diese Art Urlaub mit ihnen ist mir wie ein Stück Deutschland. Doch am nächsten Tag sagen wir uns Auf Wiedersehen und legen diesmal insgeheim besonderen Wert auf den Sinn dieser Worte.

Euer Lo & Mo

 

Russland V
Novosibirsk (Новосибирск) - K'achta/Grenze, 13. Juli - 7. August, km 14000

Die unbegreifliche Weite Russlands offenbart sich jedem Besucher auf einfachste Art und Weise bei einer Durchquerrung Sibiriens. Obwohl es nichts Sensationelles, Hervorragendes oder besonders Nennenwertes zu sehen gibt, verzaubert mich diese Region einfach nur durch ihre riesige Ausdehnung und ihren monotonen Touch. Trotzdem ist es uns eine wahre Augenweide, das kurz nach Novosibirsk (Новосибирск) sich plötzlich Hügel formen. Wälder mit Kiefern und Birken bestimmen zunehmend das Bild. Nach dem wochenlangen geradlinigen Strassenverlauf dürfen wir endlich wieder Kurven fahen. Tiefer und tiefer dringen wir in den Osten ein. Wo einst Birken, Sumpf und Wiese unsere Augen langweilten, zeigen uns jetzt mächtige Wälder die Unendlichkeit der russischen Taiga - welch undruchdringliches Dickicht, welch volles, sattes dunkles Grün füllt bis zum Horizont das Panorama. Teilweise fällt es uns schwer seitab der Hauptstrasse ein paar Quadratmeter Wiese ausfindig zu machen, um unsere Ruhestätte errichten zu können.

Irgendwann inmitten dieser urwüchsigen Natur reisst das Asphaltband ab und Schotter bzw. unangenehme Wellblechpiste bestimmen den befahrbaren Untergrund. Jeden Abend fachsimpeln wir über die Fage, wie in aller Welt dieses alles durchrüttelnde und durchschüttelnde, kein Erbarmen kennende Wellblechprofil entstehen kann. Mit viel Geduld und Anstrengung erreichen wir die baikalnahe Stadt Irkutsk (Иркутск).

Mehrere zeitaufwendige Arbeiten, wie z.B. Moppeddurchsicht, Alukistenreparatur und Einkauf verschiedener Ausrüstungsgegenstände zwingen uns zu einem längeren Aufenthalt in hiesiger Stadt. Als wir bei der Ankunft direkt vor dem zentralen Platz mit obligatorischer Leninstatue unsere Moppeds parken, spricht mich ein Wuschelkopf von der Seite an: "Where are you from?" Auf mein: "From Germany" vernimmt mein Ohr einen allzu vertrauten Dialekt: "Na dann gönn wa uns ja auf deutsch underhalden". Andreas kommt aus Dresden. Mit seiner Freundin Annette hat er sich in der Mongolei ein altes Motorrad mit Beiwagen der russischen Marke Ural gekauft und beide sind jetzt damit unterwegs in ihre sächsische Heimat.

Das Unglaubliche daran ist, dass wir die beiden bereits aus den Erzählungen Sylvias und Gisberts (siehe Reisebericht Russland IV) kennen. Noch tief im Gespräch hält gegenüber auf der Strasse ein Kleinbus. Zielstrebig nähern sich uns fünf junge Leute. Tom, Thomas, Claudia, Hagen und Sandra sind auch aus Sachsen und machen hier jedes Jahr die Gegend um den Baikal (Байкал) unsischer. Ihr Engagement hier im tiefsten Russland manifestiert sich unter der Internetpage: www.baikalplan.de. Nun unterhalten sich alle wild durcheinander. Angezogen vom berlinerisch-sächsischen Kauderwelsch nähern sich noch zwei aus Berlin stammende Mädchen. Die Situation wird zu komisch. Ossi-Treff unterm Lenindenkmal, 8000km fern der Heimat.

Wir verabreden uns zum Abend an der Uferpromenade der Angara um uns in Kommunikation zu üben. In der Zwichenzeit erledigen wir einige Einkäufe. Gerade als wir weiter wollen, hopst ein junger Mann wild knipsend vor uns umher. Tobias und sein Freund Oleg stellen sich uns vor. Als Tobias erfährt, dass wir die gleiche Entfernung, die er zum grössten Teil mit der Transsibirischen Eisenbahn reiste, mit den Motorrädern zuruckgelegt haben, ist er wie aus dem Häuschen. "Da muss ich doch gleich noch ein Foto machen." entgegend er. Wir müssen herzlich lachen, aber fühlen uns geehrt, das uns diese Anerkennung zu teil wird.

Der nächste Tag ist unseren fahrbaren Untersätzen gewidmet. Die zweite Durchsicht fordert unsere KFZ-mechanischen Fähigkeiten. Unter Lo's fachmännischer Führung läuft Ölwechsel, Ventileinstellung, Vergaser- und Luftfilterreinigung, Kerzenkontrolle und Kontrolle aller Schrauben auf festen Sitz problemlos ab, nimmt aber trotzdem einen gesamten Tag in Anspruch. Durch die Rüttel-Schüttelattacken der letzten Wellblechpisten hat meine linke Alukiste einen 10cm Riss um die hintere obere Halterung bekommen. Diesem schon recht schwierigen Problem widmen wir uns am dritten Irkutsktag. Wir fahren zu einer uns empfohlenen Fabrikwerkstatt ausserhalb der City. Dort nimmt sich Nikolai unseres Problems an. Er ist Aluminiumschweisser und ein wahrer Fachmann auf diesem Gebiet. Schnell ist meine Kiste mit einer sauberen Schweissnaht versehen und beide Boxen mit je einem zusätzlichen Alublech verstärkt. Als Lohn reicht Nikolai der Glanz in meinen Augen, denn ich bin glücklich, dieses Problem so akurat gelöst zu haben, aber ein Bild seiner von uns fotografierten Werkstatt bekommt er trotzdem, wenn auch erst nach einem Jahr zugechickt.

Mit diesem Erlebnis im Gepäck verlassen wir die Stadt und stehen 60km weiter schon vor unserem nächsten Abenteuer Namens Baikal (Байкал). Eine Perle der Natur, ein Sinnbild der Schönheit, ja ein göttliches Geschenk eröffnet sich vor unseren Augen. Die Reinheit des Wassers ist auf den ersten Blick bemerkenswert. Wir setzen über die Einmündung der abfliessenden Angara und wollen auf der südwestlichen Seite 100km entlang einer wenig befahrenen Bahnstecke den südlichsten Zipfel des Sees erreichen. Anfangs gelingt unser Vorhaben recht gut, doch nach einigen Kilometern wird der seitlich die Schienen begleitende Weg zum Pfad und irgendwann verliert sich der Pfad vollends im Gestrüpp. Unser Pioniergeist lässt uns eine Möglichkeit finden weiter voranzukommen. Wenn es neben den Schienen nicht geht, dann müssen wir wohl auf den Schienen fahren. Ein zweigeteiltes Brett dient uns als Übergang und schon rattern zwei Motorräder voll beladen über die mal gut und mal weniger gut aufgefüllten Bahnschwellen.

Noch extremer als beim Wellblechprofil nagt diese mechanische Belastung an Maschine, Trägersystem und Ausrüstung. Nach mehrmaligen auf und neben der Schiene Fahren haben wir erst 20 von 100km geschafft. Um lieber unsere Moppeds samt Aufbau zu schonen entschliessen wir uns zur Umkehr. Den Geheimtip, längs der Schienen den südlichsten Baikalort anzusteuern, weil die Strecke wenig touristisch entdeckt sei, was wir auch nicht bestätigen können, gab uns Andreas. Danke Andreas! Danke, Danke! :-)

Der Fairnis halber müssen wir zugeben, dass wir gern an dieses Abenteuer zurückdenken. Den Umweg über Irkutsk (Иркутск) in Kauf nehmend, suchen wir auf mittlerer Höhe des östlichen Baikalufers einen akzeptablen Platz an dem wir mehrere Tage rasten wollen. Schon fast verzweifelt fahren wir am Ufer auf und ab, doch intelligenter Weise haben die Russen ihre Bahnstrecke immer schön entlang des Baikalufers gabaut und noch dazu liegt an jedem eventuell idyllischen Plätzchen (die Schienen natürlich dabei ignorierend) ein auffallend grosser Haufen Müll, den die umweltbewussten russischen Touristen als Zeichen ihres einstigen Baikalbesuches dem See als sein trauriges Erbe hinterliessen. Viel weiter nördlich lassen wir uns enttäuscht zwischen Müll, Baikalufer und Strasse nieder. In unseren Augen ist die Perle der Natur für ihre ansässigen Nutzniesser eine Perle vor die Säue!!!

Leider ist uns das Wetter nicht hold. Merklich kühl peinigt uns feinster Nieselregen drei Tage lang. Dann wird über Nacht zum Samstag unsere Wiese zu einem kleinen Zeltplatz. Freundliche Russen verbringen hier ihr Wochenende und lassen uns mit ihrer herzlichen Gastfreundschaft ein wenig die traurige Müllproblematik vergessen.

Es wird Zeit für uns, um nach monatelangem Reisen Richtung Osten einen Haken in unsere Route zu schlagen. Die Räder Richtung Süden drehend, stehen wir bald in K'achta an der russisch-mongolichen Grenze. Es dämmert bereits und die Grenze schliesst gerade im Augenblick unserer Ankunft. Ein zweiter Versuch am darauffolgenden Morgen öffnet uns das erst Grenztor. Unsere Pässe werden abgestempelt und die Dokumenti kontrolliert. Ein spezielles Papier als eine Art Zollerklärung für die Krads weist ein von uns völlig unbeachtet gelassenes Gültigkeitsdatum auf, welches natürlich seit drei Tagen überschritten ist. Im Chefbüro eröffnet man uns jene Problematik mit dem sofortigen Hinzufügen, dass solch Vergehen uns zusammen 1000 Rubel kosten wird. Wir erklären im Gegenzug unser Unschuld und verweisen auf die Kollegen am anderen Ende Russlands. Man zeigt sich ruhig aber russisch hart. So demonstrieren wir Zeit, die wir ja in Hülle und Fülle mitgebracht haben. Nach einiger Zeit beiderseitigen starren Verharrens schickt man uns zu den Moppeds raus. Ein blöder Schachzug. So können wir sie ja gar nicht mehr nerven. Nach fünf Minuten stehen wir wieder vor der Bürotür und drängeln. Diesmal nimmt sich eine Uniformierte unseres Problems an und versucht auf mütterliche Art uns das Geld aus der Tasche zu locken. Doch abermals entschärfen wir ihre Begründung und sitzen letztendlich sage und schreibe acht Stunden mit den Grenzern in ihrem Büro und diskutieren.

Gar nicht mal schlecht, denn so bleibt mir ein wenig Zeit mein Tagebuch zu ergänzen. Lo stillt seinen Hunger mit einer Zwischenmahlzeit und so nerven wir die Jungs unbarmherzg lange. Dann komt das erste Zeichen der Einsicht und aus 1000 werden 600 Rubel und irendwann verschwinden auch diese gegen eine Unterschrift ihres Protokolls und der unsrigen schriftlichen Schulderklärung, die auf deutsch geschrieben natürlich keine Sau versteht :-).

Nun haben die Jungs es aber eilig, denn es ist bereits nach Feierabend und der ist auch den Russen heilig. So schickt man uns mit all unseren wohl abgestempelten Unterlagen zum mongolischen Grenztor.

Euer Lo & Mo

 

Mongolei I
Grenze - Avaiheer, 7. - 21. August, km 15000

"Hallo Jungs, wo kommt ihr denn noch so spät her?" Dies sind die Begrüssungsworte des mongolischen Zöllners, der nach uns das Tor schliesst und damit auch den Grenzverkehr für den heutigen Tag als beendet erklärt. Bedingt durch unser spätes Erscheinen auf dem mongolischen Grenzübergang sind die meisten Beamten schon im Feierabend, nur unser Torschliesser und sein Kollege haben noch auf uns gewartet, um uns den amtlichen Einreisestempel in unsere Pässe zu drücken. Leider könne wir die Moppeds heute nicht mehr registrieren, und so empfiehlt man uns das nahe gelegene Hotel.

Wir erklären den Beamten, dass wir das Wort "Hotel" gar nicht mehr aussprechen könnten, da wir seit Beginn unserer Reise immer im Zelt nächtigen und ob dies nicht irgendwo möglich sei. Kein Problem, dann zeltet doch einfach hier, hier auf dem Grenzgelände. Wir können das Unglaubliche noch gar nicht fassen und bauen zügig unser Zelt auf dem steinharten Boden auf. Viel vom Tageslicht können wir nicht mehr während unseres täglichen Kochrituals nutzen. Doch bleibt uns das Herauskramen der Taschenlampen erspart, das gesamte Areal ist hell erleuchtet. Die wachhabenden Soldaten schauen abwechselnd bei uns vorbei, bringen eine Kleinigkeit zu essen oder bitten um Hilfe bei dem Start eines Computerspiels, der ich gerne nachkomme. So werden wir am Ende eines Problem-Aussitz-Tages von einer im Gleichschritt marschierenden und singenden Patrouillentruppe in den Schlaf gewogen.

Am nächsten Morgen heisst es früh raus, um nicht von den ersten Grenzgängern geweckt zu werden. Wir holen uns unseren Stempel für die Motorräder ab, den wir hier im Vergleich zu Russland problemlos bekommen und rollen hinaus in die mongolische Steppe. Noch sieht es fast ähnlich aus wie die letzten Tage im Nachbarland, doch schon recht bald sieht man die ersten Jurten, die ersten Geschäfte zwar mit kyrillischer Aufschrift, aber dennoch unverständlich. Bäume scheinen hier zur Rarität zu werden, die russische Taiga liegt nun endgültig weit hinter uns.

In einem neuen Land braucht man immer einige Tage, ehe man sich zurechtfindet. Und so beginnt nun auch unsere Entdeckungsreise in dem ersten mongolischen Städtchen Namens Sühbaatar. Wir müssen herausfinden, welche Bank uns hier unsere Travellerschecks einlöst, wo bekommt man welche Lebensmittel (im Geschäft oder auf dem Markt), wie funktioniert das mit den Tankstellen, wie offen ist hier Bauer Horst, wenn es um eine Stellfläche fur unser Zelt geht. Nachdem wir uns in Sühbaatar mit den wichtigsten Dingen versorgt haben, bewegen wir uns zielstrebig auf einer der drei im Land asphaltierten Routen gen Ulaanbaatar.

Das Wetter ist immer noch sommerlich warm und so verfällt man unweigerlich bei dieser grandiosen Landschaft ins Träumen. Doch spätestens in Ulaanbaatar, dem einzigen Dorf mit Grossstadtcharakter, wird man in die Realität zurück geholt. Es ist nicht nur das ständige Hupen und der etwas chaotische Verkehr, der einen zur Aufmerksamkeit zwingt. Diese Stadt gilt für uns als Anlaufstelle, um unsere Weitereise nach China zu organisieren. Die von den chinesischen Behörden geforderten Dinge, wie chin. Führerschein, chin. Nummenschild, einen ständigen chin. Reisebegleiter und vorgebuchte, nur für Ausländer bestimmte Hotels, liessen sich in Deutschland nur über ein Reisebüro zu exorbitanten Kosten organisieren. Dies hoffen wir hier auf alle Fälle günstiger zu bekommen.

So ist unsere erste Aufgabe das Ausfindigmachen von entsprechenden Reisebüros. Das, was so einfach klingt, lässt sich in Ulaanbaatar nur mit grösster Kraftanstrengung realisieren. Keiner kann einem sagen, wo man so ein Reisebüro findet, Nachschlagewerke wie Gelbe Seiten müssen hier noch erfunden werden. Hat man dann ein Reisebüro gefunden, bekommt man die Frage gestellt, seit wann es die chinesische Mauer gibt. Auf meine Antwort "seit 210 v.Chr." bekomme ich zu hören: "Sehen Sie und seit dem mögen wir die Chinesen nicht." Was will man da noch sagen? Aber zum Glück ist nicht alles so aussichtslos wie unser Suchspiel. Da kommen uns Tsend und sein Sohn Namsrei zur Hilfe, die uns spontan auf der Strasse ansprechen.

Tsend lädt uns in seine Jurte, fünf Minuten vom Zentrum entfernt, ein und offeriert uns einen Schuppen, wo wir uns ausbreiten können und einen Stellplatz für unsere Moppeds auf seinem kleinen Grundstück. Wir sind überglücklich, denn so können wir unsere Suche die nächsten Tage sorgenfreier antreten. Während Tsend uns mit weiteren Adressen versorgt, hat seine Frau Marta eine Nudelsuppe zubereitet, die wir uns schmecken lassen. Auch Sohnemann Namsrei, der im September zur Schule kommt, will da nicht unbeteiligt rumstehen und so fordert er heute mich, an einem anderen Tag Mo zum Schachspielen auf. Die Partie endet 1:1 und so werde ich wohl nochmal wiederkommen müssen.

Nach vier Tagen verlassen wir Tsend und seine Familie. Um unsere Zeit nicht nur mit der Chinaproblematik in der Mongolei abzusitzen, brechen wir heute zu einer 19-tägigen Rundreise im Land auf. Bevor wir die Stadt Richtung Westen verlassen, händigen wir unsere Dokumente einem Reisebüro aus. Sie haben soetwas zwar noch nie organisiert, waren aber augenscheinlich sehr angagiert, uns zu helfen. So können wir die Rundreise ruhig angehen lassen, wohlwissend sie werden alles für uns organisieren. Wenn wir nicht noch einkaufen müssten, würde nachfolgendes Erlebnis nicht unsere Tagebücher schmücken.

Trotz aller Vorsichtsmassnahmen bleibt es während der Reise nicht aus, dass das eine oder andere wegkommt. So weist z.B. meine Hosentasche eine rote Naht auf. Hier hatte man mir auf dem Markt durch einen gezielten Messerschnitt versucht, mein Portemonaie zu entwenden. Zum Glück erfolglos. Heute aber, während Mo einkauft und ich bei den Moppeds bleibe, klaut man mir trotz meiner Anwesenheit meinen Helm. Ich kann es erst gar nicht glauben und denke ich habe ihn zuvor im Laden liegengelassen. Nein, er ist weg! Die umherstehenden Leute deuten auf meine Hilflosigkeit auch noch in die Richtung, frei nach dem Motto: Na klar haben wir das gesehen. Es kostet einige Überzeugungsarbeit, bis ein paar von den Jungs unserem Dieb folgen und wenig später mit dem Helm wiederkommen. Puh, nun bloss schnell raus aus dieser Stadt.

Noch haben wir Asphalt unter den Rädern, der uns bis Karakorum (die alte mongolische Hauptstadt um 1200 zu Djingis Khan Zeiten) begleitet. Leider ist von der einstigen Stadt ausser einer Tempelanlage und ein paar Ausgrabungen nicht mehr viel zu sehen. Hier treffen wir mal wieder einige Touristen, deren Fragen für uns immer lustiger werden: "Wie habt ihr die Moppeds hierher bekommen?" "Indem wir sie hierher gefahren haben." Beide Seiten gucken sich an und müssen herzhaft lachen.

Dann wird es ruhig, keine Touristen, kein Asphalt, nur mit Gras bewachsene Hügellandschaft, aus der immer wieder weisse Punkte auftauchen - die uns so faszienierenden Jurten. Einen dieser Punkte steuern wie zielstrebig an und errichten unser westliches Ger (Jurte) neben den zwei mongolischen Gers der Familie Malgyn. Hier lernen wir erneut mongolische Gastfeundschaft kennen, die aber weit weniger herzlich ausfällt als bei Tsends Familie. Das mag auch daran liegen, dass die Mongolen, wenn wir irgendwo halten, nicht nur ganz schnell eine Traube um uns bilden, sondern auch alles anfassen müssen. Daran haben wir uns mittlerweile gewöhnt, doch wenn sie sich immer wieder ungefragt auf die super schweren Moppeds setzen wollen, dann geht das zu weit. Wenn sie damit umkippen, lässt sich mit einem "Entschuldigung" der Schaden leider nicht beseitigen.

So kämpfen wir auch mit den ausdauernden Männern der Familie Malgyn ihnen die Problematik begreiflich zu machen. Eine vollbeladene XT600 ist halt keine Isch (russisches 350qcm Motorrad, das hier jeder zweite fährt). Nichts desto trotz bekommen wir wenig später von ihnen die für uns gewöhnungsbedürftige Stutenmilch zum Trinken angeboten, erleben hautnah wie die Schafherde zusammengetrieben wird, wie Stuten und Kühe gemolken werden und müssen natürlich als krönenden Abschluss am nächsten Morgen noch eine Runde auf einem mongolischen Pferderücken drehen. Ob das auf einem Kamelrücken genauso lustig ist? Die bevorstehende Wüste wird es uns hoffentlich verraten.

Euer Lo & Mo

 

Mongolei II
Avaiheer - Zamyn Uud/Grenze, 21. August - 19. September, km 17000

Ulaanbaatar liegt nun bereits hinter uns. Die ersten off-road Pisten haben wir mit bravour gemeistert und so dringen wir nun nach Avaiheer immer tiefer in die Wüste Gobi ein. Bei einer Wüste hat man sofort die Vorstellung: kein Baum, kein Strauch und Sand, nichts als Sand. Gerade diesen sehen wir in solchen Mengen nicht, obwohl es ihn auch in einem Teil der Gobi geben soll. Der Boden ist abwechselnd sandig, steinig oder lehmig und mit den unterschiedlichsten Pflanzen bewachsen. Teilweise fällt der Bewuchs mit dünnen Gräsern recht spärlich aus, manchmal aber bedecken Hartlaubgewächse und nadelartige Büschchen vollständig den Grund. Das in vielen Niederungen stehende Wasser irritiert uns anfänglich. Später kommen wir jedoch in verschiedene Gewitterfronten, so dass auch dieses Rätsel gelöst wird.

Den richtigen Weg in der Wüste zu finden, ist gar nicht so einfach, wenn es überhaupt den richtigen Weg gibt. Wegweiser kennt man hier nicht, zwei langsam auseinanderlaufende Spuren stellen eine Kreuzung dar, was man meistens erst 20 km später realisiert. Trotz Sonne und Kompass bin ich erstaunt, wie schwierig es ist, die Orientierung zu behalten. Die vereinzelt auftauchenden Jurten nutzen wir immer wieder, um uns nach dem nächsten Ort zu erkundigen. Drei Tage langes Umhergeistern in der Gobi, unwissend ob wir am Tage wenigstens einen Ort mit einem Geschäft, das auch etwas Essbares hat, finden, entschliessen wir uns dem Flusslauf des Ongi, dem einzigen Fluss in der Wüste, zu folgen. Da der Weg sich immer weiter aufgabelt und am Ende alle Pfade irgendwie auslaufen, steht der Entschluss fest, die Flussseite zu wechseln.

Dort soll es laut meiner Karte einen Hauptweg geben. Nur leider haben die Mongolen nicht nur den Asphalt und die Schilder vergessen, sondern auch die Brücken. So waten wir mehrmals durch das knietiefe Waser, um die bestmögliche Durchquerrungsstrecke zu finden. Ohne Gepäck durchfahren wir mit den Moppeds nacheinander den Fluss. Trotz seiner recht starken Strömung kommen wir sicher auf der anderen Flusseite an. Hier zelten wir dann auch so gleich. Die Chefin des angrenzenden Ger-Camps lädt uns zum Abendessen ein und wundert sich immer noch, wo wir herkämen, denn auf der anderen Flussseite würde es doch gar keine Wege geben. Wie recht sie hat!

Durch ihr Studium in Irkutsk (Иркутск) spricht sie perfekt russisch und so fällt es uns leicht, mit ihr einen recht kommunikativen Abend mit vielen neuen Infos zu verbringen. Gestärkt und ausgeruht fordert die Gobi am nächsten Tag wieder unsere ganze Aufmerksamkeit. 20 km durch ein trockenes, sandiges Flussbett zu fahren, kostet einiges an Konzentration und Schweiss. Und so freuen wir uns, wenn im späteren Tagesverlauf mal Treibsand, mal Gestein, mal Wellblechpiste (Rillenprofil querr zur Fahrbahn) für Abwechslung sorgen. Es sind kleine Berge zu überquerren und es folgt erneut weites, leicht hügeliges Land. Und auf einmal sehen wir sie, die ersten Kamele. Ohne Fototermin und einen kleine Reitstunde kann es nicht weitergehen. Gut eingekeilt zwischen den beiden Höckern traben wir nacheinander um die Jurte des Kamelbesitzers. Es ist erstaunlich wie neugierig diese Tiere sind, denn zur nächsten Herde müssen wir erst gar nicht hin, sie kommt zu uns und lässt sich bereitwillig ablichten.

Mit Dalan Dzadgad haben wir unseren südlichsten Punkt der Rundreise erreicht. Mo gibt dort für die 1000 Leser der lokalen Provinzzeitung ein Interview. Das anschliessende Foto erfolgt vor einem der unzähligen Denkmäler, die es in er Stadt gibt. Da fast alle Provinzzentren vom gleichen Reissbrett stammen, ist ein Zurechtfinden in Dalan Dzadgad recht einfach.

Fünf Tage später, nachdem 500 km übelste Wellblechpiste hinter uns liegen, klopfen wir erneut an Tsends Pforte. Nun wird sich zeigen, was mit China wird. Und es zeigt sich! Nach über 14 Tagen hat unser grosser Kindergarten-Reiseexperte die Infos rausgefunden, die ich ihm bereits mit unseren Dokumenten gegeben hatte. So würden wir in drei Jahren noch nicht in China sein. Also nehmen wir das Ganze jetzt selbst in die Hand. Da die Zeit nicht untätig war und immer schön weiterlief, haben wir noch ein paar Tage, bevor unser mongolisches Visum abläuft. Somit heisst das, vor dem chinesichen Visum noch eine Verlängerung des mongolischen zu beantragen. Gesagt, getan und mit einem für uns hier unbekannten Bürokratismus halten wir nach drei Tagen die Pässe mit dem entsprechenden Stempel in der Hand. Die chinesische Botschaft gibt sich da viel lockerer. Ein persönliches Gespräch mit dem recht offenen Botschafter bringt uns die Zusicherung für ein dreimonatiges Visum ein. Die einwöchige Wartezeit verbringen wir vor den Toren der Stadt in Flussnähe.

Nach einer etwas kühlen Nacht krieche ich aus dem Zelt und traue meinen Augen kaum. Die gesamte Wiese ist weiss vom Rauhreif. Auch beim Zubereiten des Kaffewassers merken wir die nächtlichen Temperaturen. Das Wasser in den Flaschen ist fast vollständig gefroren und wir haben Mühe, es in den Topf zu bekommen. Wir schreiben den 17. September und der Winter klopfte gerade an unsere Tür. Es wird höchste Eisenbahn, dass wir uns auf den Weg gen Süden machen. Eine letzte Nacht bei Tsend und schon sitzen wir wieder auf unseren Motorrädern, diesmal mit einer dreimonatigen China-Hoffnung in der Tasche.

Die Strasse nach Zamyn Uud, der mongolischen Grenzstadt, befindet sich noch im Bau und so stossen wir bei der Wegerkundung auf unsere ersten chinesischen Vorboten - Bauarbeiter. Diese werkeln hier auf 150 Kilometern, um dem Land seine vierte Asphaltstrasse zu geben. Die Orientierung fällt leichter als gedacht aus, denn wir bewegen uns immer zwischen Bahnlinie und Strassenbau entlang. Die Bahn scheint sich aber gut durch das Land zu schlängeln, denn in Saisand zeigt der Tacho 70 km mehr als die Karte an. Zum Glück haben wir unsere Benzinvorräte grosszügig kalkuliert und so erreichen wir die Stadt mühelos.

Ein letztes Mal getankt, nehmen wir die kommenden 200 km in Angriff. Die Gobi mit ihren teilweise schwerpassierbaren Wegen hat uns wieder fest im Griff. Mitten in der Wüste begegnen wir 18 Stadtbussen. Was für eine schlechte Karte müssen die gehabt haben, wenn sie hier gelandet sind? Aber alles ist geplant. Sie überführen die nagelneuen Busse von Peking nach Ulaanbaatar über diese unglaubliche Piste. Ob sie die Bahnlinie nebenan als Alternative nicht erkannt haben? Wir wünschen ihnen jedenfalls gutes Duchkommen und hoffen das man die Busse in Ulaanbaatar nach einer solchen Wüstentour noch als neu erkennen kann.

Am Abend sehen wir am Horizont die Grenzstadt. Da es für eine Grenzüberquerrung heute schon zu spät ist, campen wir hoffentlich ein letztes Mal auf mongolichen Boden. Ab morgen bleiben uns noch zwei Tage den Grenzübertritt organisiert zu bekommen, bevor unser mongolisches Visum erneut abläuft.

Euer Lo & Mo

 

Mongolei III
Grenze, 19. - 20. September, km 17000

Nach einem Sack voll Reiseerfahrung ganz besonderer Art, die uns der einmonatige Aufenthalt in der Mongolei bescherte, stehen wir nun vor unserem letzten grossen Abenteuer auf mongolischer Seite. In 10 km Entfernung können wir die Umrisse der kleinen Grenzstadt Zamyn Uud erkennen. Laut Karte soll dahinter das Reich der Mitte seinen Anfang nehmen. In dieser Stadt werden die Würfel fallen, ob wir ab durch die Mitte, also sozusagen direkt durch die Hölle des Löwens unsere Zielstadt Shanghai erreichen werden, ob wir widerwillig einen grossen Ausweichschlenker über Wladiwostok in Kauf nehmen müssen oder ob wir mit einem entgegengesetzten Umweg über Zentralasien "Die Stadt über dem Meer" zu Gesicht bekommen werden.

Da wir Dank der mongolischen Hilfe keine einzige der chinesischen Einreiseauflagen erfüllen können, außer der dreimonatigen Visa, welche in unseren Pässen glänzen, versuchen wir wild entschlossen Trick 17 anzuwenden. Wir wollen uns einen mongolischen LKW suchen, der unsere Krads auf seiner Laderfläche als Transitgut deklariert über die Grenze bugsiert. So können wir ganz legal als stinknormale Touries den chinesichen Schlagbaum passieren.

In Zamyn Uud angekommen, machen wir uns gleich an die Arbeit. Wir befragen mehrere Brummifahrer. Der Preis für unserer gewünschte Überführung schwankt stark. Letztlich kriegen wir die Gage von 200 € auf 20 € gedrückt.

Noch mit dem letzten LKW-Besitzer verhandelnd, hält ein Jeep neben uns. Eine verdächtig mitteleuropäisch ausschauende, um nicht zu sagen german-like Person spricht uns an. Wir lernen Heiko kennen, der mit einigen anderen deutschen Landsleuten auf einer nahegelegenen Baustelle seine Brötchen verdient. Als er von unserem Vorhaben erfährt, schickt er uns sofort auf die Baustelle zu seinen Kollegen Albrecht und Roland. Der Weg dorthin ist einfach zu finden. Zwei riesige weisse Zisternen weisen uns die Richtung. Auf der Baustelle begrüsst uns Albrecht. Wir schildern ihm abermals unser Vorhaben und schon wird wie wild herumtelefoniert.

Es ist Mittagszeit und mit leerem Magen lassen sich keine Chinesen übers Ohr hauen. So erzählt am Mittagstisch ein jeder erstmal seine Geschichte. Die drei Deutschen sollen hier mitten in der Wüste eine Umfülllstation für Diesel und Benzin errichten, da sich die Spurbreite der chinesischen und mongolischen Schienenfahrzeuge voneinander unterscheidet. Nach dem Essen gibt es erst einmal eine Exklusivbesichtigung der deutsch-mongolischen Baustelle. Obwohl unsere Visa schon morgen ablaufen, geben wir uns erstaunlich gelassen angesichts unserer brisanten Problematik. Geduldig und sichtlich erfreut über unser reges Interesse beantworten uns Albrecht und Roland alle Laienfragen über ihr mongolisches Kind mitten in der Gobi. Mit einer reichlichen Prise Humor und zugleich Verzweiflung in der Stimme erklärt uns Albrecht das Prinzip des Kinderfussballs, der metamorphorisch gesehen das Arbeitsgebahren der Mongolen beschreibt.

Wir beobachten, wie an die 15 Mongolen auf einer Kellerdecke zwischen den Betonstahlgittern den flüssigen Beton, der unentwegt aus einem Rohr quillt, ungeschickt versuchen zu verteilen. Eben wie beim Kinderfussball stürzen sich alle zugleich auf den Ball. Die Hälfte der Jungs steht so oder so nur daneben und schaut zu. Ja, wir spüren den Hauch von Hilflosigkeit in den Bemühungen der deutschen Ingenieure, die Umfüllstation rechtzeitig fertigzustellen. Auch als pure Laien begereifen wir den Missstand, der entsteht, wenn verlangt wird, dass deutsche und mongolische Arbeitsmentalität Hand in Hand gehen soll.

Ach ja, da war ja noch was. Links gehts nach China. Also los. Zusammen mit unserem neuen Freund Albrecht jage ich in seinem Jeep über Sanddünen zu mehreren LKW-Fahrern. Wir sammeln einige Telefonnummern, um für den morgigen letzten Tag unserer Visa genügend Eisen im Feuer zu haben. Obwohl wir Albrechts Zeit ganz schön beanspruchen, scheint unser Erscheinen ihm eine recht willkommene Abwechslung zu sein neben dem Alltag auf seiner Verzweiflungsbaustelle.

Dann erleben wir einen sehr geselligen Abend in einigen Bars der Stadt. Mit dem Kennenlernen unserer deutschen Landsmänner wird uns klar, was es für sie bedeutet, hier arbeiten zu müssen. Am nächsten Tag wird es höchste Eisenbahn für uns. Eine Verabredung mit einem LKW-Fahrer platzt. Andere sagen uns telefonisch ab. Einer der Brummiexperten will sich mit mir treffen, doch wahrscheinlich war der Treffpunkt uneindeutig beschrieben. Lo versucht schon den ganzen Vormittag noch einen Fahrer mit Untersatz aufzutreiben. Als ich gerade die Baustelle verlasse, um einen nächsten Bewerber hierherzulotsen, kommt mir Lo mit einem LKW im Schlepptau schon entgegen.

Jetzt muss alles schnell gehen, denn um 17:00 Uhr schliesst die Grenze. Mit vereinter Kraft laden wir die Moppeds von einem Sandhügel auf die Laderampe des LKWs. Nachdem wir uns herzlichst von unseren enthusiastischen Helfern verabschiedet haben und um die Ecke der Baustelle biegen, steht Roland hoch oben auf einem Sandhügel und schaut uns sehnsüchtig hinterher. Es gibt Augenblicke, die sind nicht beschreibbar. Auf jeden Fall wollen wir in diesem Moment noch gar nicht nach China, doch irgendwelche wichtigen Zahlen zwingen uns leider dazu.

Der Mongole, der unsere Moppeds transportiert, fährt erst noch in aller Seelenruhe nach Hause, um Mittag zu essen. Die Grenzer haben jetzt erstmal Mittagspause und so versuchen auch wir unsere Aufregung zu drosseln. Mittlerweile ist es 15:30. Noch 90 Minuten Zeit. Dann geht es endlich los. Ein letztes Mal fahren wir durch die kleine Grenzstadt. Vor uns erkennen wir schon den ersten Schlagbaum. Am Horizont ist ein riesiger Bogen in den Farben eines Regenbogens zu erkennen. Nach Albrechts Ausführung ist das das Tor zum Reich der Mitte. Werden wir es tatsächlich schaffen? Vielleicht weist man uns schon am ersten Kontrollpunkt zurück? Wird man mit uns im Niemandsland Ping Pong spielen? Wir wissen es nicht. Die nächsten Stunden werden es uns zeigen.

Euer Lo & Mo

 

China I
Grenze - Jining, 20. - 24. September, km 17300

Noch nie habe ich den Sinn einer Grenze verstanden. Warum können Zahlen und Stempel auf einem Papier so wichtig sein? Grenzen und die damit verbundenen Grenzübertritte machen mich jedesmal irgendwie nervös. Dieses Gefühl kann ich besonders für diesen Augenblick bestätigen. Der erste Schlagbaum öfnet sich und wir halten vor dem mongolischen Zollgebäude. Die LKW Fahrer passieren jeden Tag diese Grenze und kennen wahrscheinlich jeden Grenzer (und jeder Grenzerin...) mit Namen. Während unser junger Mongole mit den uniformierten Damen flirtet, erledigen wir im Gebäude die Schreibformalitäten. Wir können gar nicht so schnell gucken, wie unsere Visa abgestempelt werden. Super! Unser erstes Problem haben wir gelöst: Wir können nicht mehr zurück in die Mongolei. Unser LKW-Mongole wartet schon und weiter gehts. Keiner will unsere KFZ-Scheine sehen und wir fragen auch keine unglücklichen Fragen.

Im Niemandsland ist der LKW-Stau dann ungewöhnlich lang. Bei den Chinesen ist Stromausfall und es sind noch 60 min bis zur Schliessung der Grenze. Wir warten und warten. Es tut sich nichts. Dann plötzlich setzen sich die ersten Stahlkolosse in Bewegung. Noch ein halbe Stunde! Langsam nähern wir uns dem chinesischen Checkpoint. Weit vor dem Schlagbaum kommt uns schon ein erster Grenzer entgegen. So, das war's dann ja wohl! Er wird uns sicher gleich gestikulieren, dass wir umdrehen sollen. Doch stattdessen schenkt er uns ein Lächeln und lässt uns vorfahren. Ebenfalls wie auf mongolischer Seite sollen wir ins Grenzgebäude gehen, während der LKW-Fahrer am Checkpoint wartet. Die ausgefüllten Formulare werden ohne Beanstandung akzeptiert. Dann beseitigt man uns das nächste Problem, denn der chinesische Einreisestempel saust in unserer Pässe. Verstohlen und triumphierend tauschen wir schnell einen Blick aus. Auch aus China kann man uns nicht mehr rausschicken.

Während ich auf Lo warte, tippt mir jemand von hinten auf die Schulter. Es ist unser LKW-Mongole, der mir zu verstehen gibt, dass er nahe dem Grenzausgang - auf der chinesischen Seite - auf uns wartet. Wie? Wo? Er zeigt auf seinen LKW, auf dem immer noch ganz brav unsere Yamies warten. Ich glaub ich spinne! Wie ist denn der gute Mann ohne jegliche Papiere mit den Krads durch den chinesischen Zoll gekommen? Wir können es noch gar nicht fassen. In mir steigt ein berauschendes Freudengefühl auf. Wir setzen noch eins oben drauf und lassen uns unsere internationalen KFZ-Scheine abstempeln, um zukünftigen Grenzproblemen aus dem Weg zu gehen. Selbst diese Stempel gibt man uns nach einigem Hin und Her. Dann sitzen wir wieder im LKW und verlassen das chinesische Grenzgelände. Nein, das ist nicht wahr! Wir sind in China, wir sind tatsächlich in China!

In der Nähe der Grenze finden wir eine Baustelle, wo wir unbeobachtet und ungestört mit Hilfe einiger chinesischer Bauarbeiter die Krads auf einen Sandhügel rollen lassen und von da auf die ebene Erde. Dann verabschieden wir uns noch von unserem Mongolen, geben ihm ein Trinkgeld für seine wertvolle Hilfe und einen freundschaftlichen Klaps auf die Wange. Er hat keine Ahnung, welchen grossen Dienst er uns soeben erwiesen hat. Umsichtig fahren wir auf einer Umgehungsstrasse um die Grenzstadt herum. Nirgenwo sehen wir Polizei. Auch der ständige Blick in den Rückspiegel lässt keine unliebsamen Verfolger erkennen. Dann können wir uns nicht mehr halten. Mit einem Mal löst sich die gesamte Spannung. Freudentränen stehen uns in den Augen. Wie kleine Kinder hüpfen wir übermütig auf unseren Zweirädern herum. Tief atme ich die herrlich laue Abendluft ein. Heute ist sie besonders angenehm zu spüren. Die Sonne steht kurz vor'm Horizont und lächelt uns zu als wolle sie sagen: "Na, Jungs, habt ihr's tatsächlich geschafft? Seht ihr, es war doch gar nicht so schwer." Mir kommt ein Satz aus dem Buch "Der Alchimist" von Paulo Coello in den Sinn, der da schreibt: "Wenn jemand in seinem Leben etwas wirklich will, dann wird das ganze Universum ihn unterstützen, dass er sein Ziel erreicht." Dem kann ich nichts mehr hinzufügen.

In den nächsten Tagen bewegen wir uns äusserst vorsichtig auf dem chinesischen Asphalt. Uns bleibt jedesmal fast das Herz stehen, wenn wir an einem Polizeiauto vorbeifahren. Jeden Moment warten wir dann auf das Ertönen der Martinhornes, aber alle Uniformierten kucken nur erstaunt, als wären gerade zwei Ausserirdische an ihnen vorbeigefahren. Um Proviant und Benzin zu bunkern, müssen wir zwangsweise mitten in den Städten Halt machen. Jedesmal umlagert uns sofort eine riesige Menschentraube. Leute, wo kommt ihr denn alle her? Dieser regelmässig zu beobachtende Menschenauflauf scheint ein chinesisches Gesetz zu sein. Auf keinen Fall wollen wir Aufsehen erregen, sonst werden die Bullen doch gleich aufmerksam, doch dieses sonderlich chinesische Phänomen können wir nicht im geringsten beeinflussen.

Die Innere Mongolei zeigt noch starken Wüstencharakter. So gelingt es uns immer wieder ein unauffälliges Plätzchen zwischen sichtschützenden Hügeln zu finden. Langsam werden wir ruhiger und unsere Spannung auf der Strasse legt sich. Unser neues Ziel heisst Peking. Von da aus ist es nur noch ein "Katzensprung" bis Shanghai. So greifbar nah war diese Stadt noch nie für uns und voller Vorfreude schreibe ich in mein Tagebuch: Shanghai, wir kommen!

Euer Lo & Mo

 

China II
Jining - Hualei, 24. - 27. September, km 17600

Hurra - wir sind in China!!

Man, was haben wir uns vorher die Köpfe darüber zerbrochen, wie wir ohne arm zu werden mit den Motorrädern in dieses Land einreisen können. Und jetzt? Jetzt fahren wir auf chinesischem Asphalt herum, als wenn es das Natürlichste der Welt wäre. Einzelne Felder neben der Strasse kündigen das südliche Ende der Wüste Gobi an. Der Verkehr nimmt zu. Es fällt uns schwer, unsere Konzentration der Strasse zu widmen. Überall gibt es etwas zu entdecken. Alles ist anders. Auf den Landstrassen überholen wir Trecker und Dreiräder, die kurz vor dem Zusammenbrechen Ziegel geladen haben. Ein Polizeiauto überholt uns. Wir halten den Atem an. - Nichts. Man hat uns wahrscheinlich nicht als Langnasen identifiziert.

In den Städten kleben unsere Blicke an den Häuserzeilen fest. Ein schier unbeschreibliches geschäftiges Treiben charakterisiert jeden Strassenzug. Im Randbezirk der Ortschaften wird montiert, repariert, gebaut und produziert. Jedes Haus besteht aus einer zur Strasse hin offenstehenden Garage in der die unterschiedlichsten Geschäfte, Werkstätten oder Garküchen untergebracht sind und aus einer zweiten Etage, die etwas nach vorne gesetzt als eine Art Vordach dient. Dort sind meist die Wohnräume der kleinen Schlitzaugen eingerichtet. Links sieht man eine Mopedgaragenwerkstatt. Daneben noch eine. In der dritten Garage wird eine Metalltür zusammengeschweisst. Ein Chinese klopft an einem Stangengitter die Eisenstangen gerade.

Im Stadtzentrum bestimmen eher Garküchen und Geschäfte das Strassenbild. Selbst vor den Läden stehen Warenstände auf denen alles, aber auch alles angeboten wird. Ein Sattsehen ist unmöglich. Überall bewegen sich Fahrradfahrer. Passen wir kurz mal nicht auf, quert ein solcher unangekündigt unseren Weg. Die müssen lebensmüde sein! Eine Verkehrsordnung ist hier nicht zu erkennen. Dreiräder, Fahrräder, ja selbst Rikschafahrer oder sogar Autos kommen uns auf unserer Fahrspur entgegen. Poh - bis Schanghai schaffen wir das nie im Leben. Linksabbieger ziehen ohne zu blinken mit einem vorangehenden Rechtschlenker quer über unsere Fahrspur nach links. Da kommt man ja noch nicht einmal mehr zum Bremsen oder Hupen. Selbst Fussgänger, die im Begriff sind die Fahrbahn zu überqueren, bleiben wie in Trance mitten auf der Strasse stehen, um dann ohne den beachtlichen Verkehr zu registrieren, einfach weiter zu gehen. Wahnsinn, einfach Wahnsinn dieses Verkehrschaos.

Dann nähern wir uns einer strassenabsperrenden Mautstation. Scheisse! Jetzt wird es wohl die ersten Schwierigkeiten geben. Wir fahren abwartend an den Schlagbaum heran. Ein Blick zum Uniformierten hinter dem Schalter öffnet uns die Schranke. Verdutzt passieren wir langsam die Absperrung. Dahinter parkt ein Toniwagen. Ebenfalls verdutzt schaut uns der Polizist hinterher. Nun aber nichts wie weg hier. Nochmal Glück gehabt, die Rückspiegel lassen das Polizeiauto kleiner und kleiner werden. Die hohe Strassenqualität erstaunt uns immer wieder. Völlig überraschend transformiert an manchen Stellen eine kleine, poplige Landstrasse plötzlich zur dreispurigen Trasse mit gutausgebautem Fahrradweg. So langsam gewöhnen wir uns an die chinesische Umgebung.

Nichts scheint uns mehr vertraut. Wenn wir abends einen Zeltplatz suchen, haben wir nur die Möglichkeit auf einem abgeernteten Maisfeld zu campieren, denn wohin das Auge schaut sind nur Felder über Felder auszumachen. Seit der Grensüberquerung war es mir nicht möglich einen Flecken Wiese, der unser bescheidenes Zelt beherbergen hätte können, zu erspähen.

Nach einer der unzähligen Städte, die fast ineinander überzugehen scheinen, lässt uns eine stark befahrene Transitstrecke einen kleinen Vorgeschmack auf den uns noch bevorstehenden Kampf im chinesischen Verkehr bekommen. Die Hölle kann nicht schlimmer sein...! Ein LKW nach dem anderen schiebt sich mit den letzten Atemzügen hier die Berge hoch. Stinkend, qualmend, hupend fahren diese Monster hinter, vor und neben uns. Zweiräder verlieren hier gesetzmässig inflativ an Akzeptanz. Ein unmissverständliches Hupkonzert von hinten teilt mir eingehend mit: Du hast noch fünf Sekunden, bevor du Matsch bist. - Na gut. Ok. Kann ja jedem mal passieren. Ich weiche aus.

Dann staut sich alles am Fusse eines Berges. Ein liegengebliebener Monstertruck zeichnet den Grund dafür. Gerade will ihn ein Artgenosse passieren, da setzt ein Reisebus im Gegenverkehr zum Überholen an. Im Kampf der Giganten können wir dieses Schauspiel nur kopfschüttelnd dokumentieren. Die Chinesen schaffen es tatsächlich aus einer normalen Landstrasse eine vierspurige Autobahn zu machen. Eben mitten in der Wüste, wo niemand nichts aus der Ruhe hätte bringen können, wurden wir mit der Einreise wie durch eine Zeitmaschine in eine völlig andersgeartete Welt katapultiert.

Der Gegensatz zwischen Mongolei und China charakterisiert einen dermassen intensiven, krassen Wandel der Dinge, dass uns diese extreme Umgebungsveränderung unreal erscheint. Doch nach und nach ergeben wir uns der hiesigen Situation und passen unser Reisetempo und unsere Art zu leben den Umständen an. So wenden wir weitaus weniger Energie für Alltäglichkleiten auf und haben mehr Kraft, das Schöne und Bewundernswerte in allen Einzelheiten zu entdecken. Peking steht nun vor der Tür und wird für die nächsten Tage unsere Aufmerksamkeit voll in Anspruch nehmen. Wir sind stolz, es soweit geschafft zu haben und dankbar, nun die Möglichkeit in greifbarer Nähe zu wissen, unseren Traum zu verwirklichen.

Euer Lo & Mo

 

China III
Hualei - Peking - Shanghai, 27. September - 13. Oktober, km 19300

Bevor ihr unseren 13. Bericht lesen dürft, muss ich kurz eine Zwischenbemerkung machen.

Wir schreiben heute den 11. Dezember und sitzen irgendwo in Asien. Mehr als sieben Monate sind wir nun schon unterwegs in fremden Welten, die meist nur sehr wenig, oft überhaupt nichts mit der Heimat gemein haben. Umsomehr baut es uns auf, wenn uns die eine oder andere Mail von daheim erreicht. Wir möchten all denen danken, die uns ab und zu ein Feedback schicken. Auch wenn wir nicht jeden Gruss beantworten können, freuen wir uns trotzdem über jede von euch zugesandte Mail. Besonders möchten wir an dieser Stelle einer Person unseren Dank in die Schuhe schieben, die zu Hause versteckt hinter den Kulissen viele von Fleiss gezeichnete Stunden vor dem Computer verbringt. Eigentlich ist es ja seine eigenen Schuld, denn er brachte uns auf die Idee. Unser lieber Steffen Sledz hat in alleiniger Eigeninitiative unsere Internetseite gestaltet. Wer sie noch nicht besucht hat, kann sich unter www.lomo-expedition.de selbst einen Eindruck verschaffen. Dafür hat unser Adolf Hennicke ein besonders lobenswertes Lob verdient! Seit einiger Zeit arbeitet aber noch jemand anderes versteckt in unseren Reihen. Mit ihrem glänzenden Abschluss zur Diplomdolmetscherin hat uns eine kleine Italinerin einfach überzeugt. Sie übersetzt zur Zeit unsere Seite ins Italienische. Danke Guily!

Länger wollen wir euch aber nicht warten lassen. Wir wissen, es kann unerträglich werden, wenn die Spannung auf den nächsten Reisebericht zu gross wird. Also, da habt ihr!

In den ersten Tagen China blieb uns kaum Zeit zum Verschnaufen. Der ungwohnt schnelle Pulsschlag des Landes forderte einige Zeit der Gewöhnung. Wir lernen die Bedeutung der Begriffe Ruhe, Stille, Einsamkeit und Privatsphäre neu zu definieren. Oft wird uns bewusst, dass das europäisch geprägte Raster unserer Denkstrukturen nicht auf die chinesische Lebensart bzw. Denkphilosophie anzuwenden geht. Weit vor Peking nimmt die ohnehin schon beunruhigende hohe Einwohnerzahl rapide zu. Der Verkehr kommt vielerorts zum Erliegen. Für uns heisst das Augen zu und durch. Eine Stadt geht in eine andere über. Ortseingangsschilder gibt es hier nicht. Irgendwann verät uns die teilweise auch in englisch zu lesende Werbung an Häuserwänden, Fahrzeugen oder Werbetafeln, dass wir uns nun mitten in Peking befinden.

Rose Tian, eine Geschäftspartnerin Lo's ehemaliger Firma DResearch nimmt uns für über eine Woche in ihrem Landhaus nahe der Stadt auf. Ihre unbeschreiblich herzliche Gastfreundschaft zeigt uns ein anderes China. Unzählige Male lädt sie uns zum Essen in chinesische Restaurants ein oder hilft uns, wo es ihr möglich erscheint. So gelingt es uns einmal tief durchzuatmen, bevor wir die letzten 1600 km vor unserem zentralen Ziel in Angriff nehmen. Als wir uns von Rose verabschieden, ist Dank in unseren Gesichtern zu lesen, aber auch ungebrochene Motivation. Die paar letzten Kilometer schaffen wir doch im Handumdrehen...

Der Verkehr auf Chinas Strassen holt uns brutal in die Wirklichkeit zurück. Hier gibt es Fahrzeuge, die gibt es garnicht! Die massiv unberechenbare Verhaltensweise der Chinesen im Verkehr, das hohe Fahrzeugaufkommen und das uns immer noch zu schaffen machende arschruhige und gemütlich langsame Dahintuckern der einzelnen Vehikel, lässt uns bald begreifen: Ein Anpassen unserer Fahrweise an die der Chinesen ist die einzige Möglichkeit, die uns noch von Shanghai trennenden Distanz unbeschadet überwinden zu können. Mit unserer neuen Einstellung verbessert sich sofort unser Verkehrsfluss.

Wie immer schon auf dieser Reise stellt sich nach der Lösung eines Problems sofort ein neues, absolut andersgeartets ein. Regen erschwert die Sicht und den Fahrbahnkontakt. Warum muss alles in diesem Land solche extremen Ausmasse annehmen? Ohne Unterlass regnet es den ganzen Tag und die ganze Nacht. Am morgen weckt uns das Trippeln auf der Zeltplane. Der Ackerboden ist völlig aufgeweicht. So motiert die Anfahrt zum rettenden Asphalt zur Schlammschlacht, doch es gibt keine andere Möglichkeit, als auf den bereits abgeernteten Maisfeldern zu zelten. Auch der zweite Regentag gibt keine Anlass auf Wetterbesserung. Die äusserst tief hängenden Regenwolken scheinen sich fast mit den dicken Nebelschwaden auf den Feldern zu verbinden. Die hohe Luftfeuchte spottet jeder Beschreibung. Unsere Motorradbekleidung mit der vertrauenserweckenden Aufschrift "waterproof" enttäuscht uns schon in den ersten Regenstunden. Besonders die Hose schaltet als erstes an der empfindlichsten Stelle auf Durchlass. Mit nicht der geringsten Möglichkeit zum Trocknen der Klamotten müssen wir zusehen, wie Garnitur für Garnitur mit Feuchtigkeit durchzogen wird.

Am vierten Regentag in Folge zieht jeder von uns die letzten trockenen Sachen an. Die graue Färbung des Himmels zeigt nicht die kleinste Nuance eines Farbunterschieds. Zur Monotonie des dahintröpfelnden Regens wird es heute auch noch empfindlich kalt. Die Motorradhosen pitschnass, kühlen nun auch noch die aufgeweichten Glieder. Am Abend diesen Tages sind die Feldwege und vor allem die Äcker unbefahrbar geworden. Keine Chance irgendwo auch nur die kleinste Zeltplatznische zu finden, nehmen wir uns widerwillig ein Hotel des unteren Standards. Als wir den Preis für ein Doppelzimmer erfragen, fällt es uns nicht schwer, ja zu sagen. Für insgesamt 2 € gönnen wir uns diese Nacht mal ein bisschen Luxus. Die Motorräder dürfen in der Eingangshalle parken. Die klammen Hände wärmen wir an unserem Kocher, denn das Wort 'Heizung' ist den Chinesen fremd. Freudig begrüssen wir den fünften Regentag in Folge. Wir suchen uns die "trockensten" Sachen aus dem Gepäck. Es steht fest, wir müssen heute Shanghai erreichen, sonst haben wir nicht eine trockene Faser mehr zum Anziehen.

Am Nachmittag widerfährt uns ein regelrechtes Wunder. Unsere apokalyptische Ahnung, die restlichen Tage dieser Reise im Regen verbringen zu müssen, wird jäh enttäuscht. Trockener Fahrtwind weht in unsere Gesichter. Sogar etwas wärmer, steigt unsere Laune sprunghaft an. Noch 150 km bis Shanghai. Der Verkehr lässt uns mancherort kein Durchkommen. Den LKWs und Bussen gilt dabei unser grösster Groll: Bedrohlich dicht trennen uns manchmal nur noch Milimeter von ihren Blechwänden. Alles schiebt und drängelt. Jetzt nur die Ruhe bewahren, Shanghai ist nicht mehr weit. Immer wieder zieht unangekündigt ein Kamikaze quer über unsere Fahrbahn. Danach erfolgt ein Aufatmen, nochmals gut gegangen.

Dann plötzlich im dichtesten Verkehrsgedränge passiert es doch. Der Stau, fast stehend, drückt sich unmerklich vorwärts. Wie ein kleines Kind freut sich jeder wieder einen Millimeter vorangekommen zu ein. Dabei hupt ein hinter Lo stehender LKW und fährt einen Zentimeter zu weit. Rums! Gerade sehe ich noch im Rückspiegel die Abwärtsbewegung der Machine Lo's. Scheisse! Ich renne zu ihm. Umgefallen sind wir schon oft, doch heute will uns jemand einen Denkzettel verpassen. Lo's rechtes Bein klemmt unter der Seitenkiste. Ich zitiere den ungechickten LKW Chinesen heran. Wir drücken die Yamie wieder in die gewohnte Vertikale. Ich koche vor Wut, doch bringt uns das nicht weiter. Die Diagnose des örtlichen Krankenhauses macht uns Mut. Kein Bruch, nur eine Überdehnung der Bänder zeichnet verantwortlich für die immernoch gravierenden Schmerzen. Wir durchdenken die Situation und entscheiden uns für die letzten 150 km nach Shanghai.

Die bereits einsetzende Dämmerung bringt uns in Unruhe. Die dunklen Gestalten am Fahrbahnrand sind zu spät erst zu erkennen. Wir zwingen uns zur Ruhe. Nun ist es dunkel und das Fahrtempo egal. Kilometer für Kilometer nähern wir uns Shanghai. Die plötzlich einsetzende Euphorie lässt uns ungeduldig dem schon so nahe wähnenden Ziel entgegenfiebern. Dann sind die ersten Strassenzüge beleuchtet. Der Stadtcharakter der Strassenumgebung reisst nicht mehr ab. Das Tacho zählt noch 30 km. Auf den Schildern ist schon der berühmte "People-Square" der Stadt aufgeführt. Nur noch 20 km - schon tauchen wir in den Hochstrassendschungel der riesigen Stadt ein. Dann kündigen erste Wolkenkratzer das Zentrum der Metropole an. Die letzten Kilometer lassen wir uns treiben.

Danach biegen wir auf die (eigentlich für Zweiräder gesperrte) parallel zum 'Bund' verlaufende Strasse ein. Auf mittlerer Bundhöhe suchen wir uns einen Platz auf dem Bürgersteig und sitzen ab. Es ist endlich gechafft. Unser Traum ist Wirklichkeit. Shanghai ist Wirklichkeit. Eben gerade erst in Wildau losgefahren, berühren nun tatsächlich unsere Motorradstiefel Shanghaier Boden.

Euer Lo & Mo

 

China IV
Shanghai, 13. - 30. Oktober, km 19400

Wenn man die Fahrleistung eines durchschnittlichen deutschen Autofahrers von einem Jahr von Berlin in Richtung Osten abrollt, landet man irgendwann in Shanghai. Über Polen, die Ukraine, Russland bis zum Baikal und die Mongolei mit Wüstensafari haben wir bis nach Shanghai 19300 km gebraucht. Jetzt, wo wir es endlich geschafft haben, kommt uns die Strecke gar nicht so weit vor. Jeden Tag poe a poe entwickelt sich das Fahren und insgesamt das Reisen zu einer Art zu Lebenseinstellung. Man registriert nur noch mit einem abendlichen Blick auf die Landkarte, die beachtliche Strecke der Tagesetappe. Mal langsam, mal schneller morpht die Landschaft von Feldern zu Wäldern, vom Gebirge zur Ebene und vom Sumpf zur Wüste. Dabei stellen künstliche Linien, wie Landesgrenzen, unnatürliche Brüche in diesem Prozess der Wandlung dar. Der Letzte und gravierenste katapultiert uns auf einen anderen Stern.

China lässt uns alles sonst Vertraute nocheinmal neu erleben. Shanghai gestaltet sich dabei als Weltmetropole besonders interessant. Mit brutaler Nüchternheit und Selbstverständlichkeit treffen hier westliche Moderne und chinesische traditionelle Lebensart der Jahrtausende aufeinander. Noch immer stehen wir wie angewurzelt neben unseren Moppeds mitten im Zentrum Shanghais. So unglaublich, wie manch Erlebnis der Reise, scheint uns auch die Tatsache, dass wir hier am anderen Ende der Welt eine Verabredung mit einem Freund aus Deutschland haben. Das akademische Viertel nicht allzulange überstrapazierend steht er plötzlich vor uns. Der kleine, kleine Norman Pötzsch, der den meisten wohl noch von den alljährlichen Pfingsttreffen in Erinnerung blieb, strahlt in schwarzem, falten- und fussellosem Anzug als krasser Gegensatz zu unseren versifften, verdreckten Motorradklamotten. Nachdem sich unsere Freude und Aufregung ihn hier zu treffen gelegt hat, fährt er im Taxi vor uns her und geleitet uns zu seinem bescheidenen Luxusappartment im 23. Stock eines Wohnhochhauses.

Wie vom Regen in die Traufe kommend, fühlen wie uns, als wir nach dem Ablegen unserer Ausrüstung geschafft, aber unendlich glücklich mit einem kühlen Bier in der Hand in die weichen gepolsterten Sofakissen sinken. Wir quatschen mit Norman bis spät in die Nacht. Eigentlich ist er genauso verückt wie wir. Wie ausgewechselt hat der vor uns sitzende Norman nichts mehr mit dem Pfingstnorman von früher zu tun. Selbstbewusst mit kräftigem Rückrad erzählt er uns seine Geschichte und wir die unsere.

Die nächsten Tage sind der Erholung gewidmet. Wir schreiben nachholend viele Reiseberichte, aktualisieren die vernachlässigten Tagebücher und geniessen einfach die Halbzeit in der faszinierenden Stadt. Norman ist trotz Mitglied der arbeitenden Bevölkerung stark am organisieren und beschert uns ein amüsantes Wochendende mit noch anderen Deutschen in der weiter südlich liegenden Stadt Hangzhou. Einige der gelben Reisegruppeteilnehmer, als Student der Shanghaier Tongji-Universität getarnt, gewinnen spielend leicht unsere Sympatie und so verbringen wir einige Abende zusammen. Mit Pastaabend, Dreiradausflug, Shanghaier Kneipentour und Grillabend mit original thüringer Bratwürstchen (für Micha & Karin: von Peter natürlich) hoch oben über den Dächern der Stadt, zeichnen die eigentlich in Zittau eingeschriebenen Studenten nicht ganz unverantwortlich für den wirklich höhepunktwürdigen Aufenthalt in der, wie von Chinesen benannten "Stadt über dem Meer".

Manch Augenblick bleibt für mich unvergesslich und so werde ich diese Stadt für immer in angenehmer Erinnerung behalten. Nach zweieinhalb Wochen schaffen wir es, uns endlich wieder aufzuraffen und unser modernes Nomadenleben weiter zu fristen. Am letzten Tag veranstalten wir mit Thomas' Hilfe (einer der Studenten) noch eine Fotosession auf dem Bund (markante Uferpromenade am Fluss Huang Pu) im Stadtzentrum der Stadt. Noch einmal schieben wir uns im Stau durch enge Strassen. Garküchen locken mit vielversprechenden Düften, Dreiräder in allen Varianten überholen uns. Aus Lautsprechern dröhnt hoffnungslos übersteuert chinesische Popmusik. Braununiformierte Kreuzungswächter mit Trillerpfeife und Megaphon bewaffnet, schreien die farbenblinden Chinesen zur Ordnung. Fäuste mit aufgerichtetem Daumen werden uns aus runtergekurbelten Autofensterscheiben entgegengestreckt. Ein Blick nach oben zeigt in modernstem Design verglasste Hochhäuserwände. Exakt darunter auf Strassenhöhe stehen ganze Verkaufsstände auf dreirädrige Fahrräder montiert. Ein Fahrradmonteur repariert alles reparaturmögliche und unmögliche auf seiner mobilen Werkstatt.

Langsam schrumpfen die Wolkenkratzer zu Wohnblockgrösse und diese zu normaler Häuserhöhe. Die Garküchen und Lebensmittelshops werden abgelöst von KFZ-Werkstätten und Ersatzteilläden und das Hochstrassenknäul wandelt sich erst in ebenerdige Highways and dann in normale Strassenzüge. Weit kommen wir heute nicht mehr. Das Sonnenrund färbt sich röter und röter. In den Vororten der Stadt schlendern Chinesen in gewohnter Arschruhe von der Arbeit nach Hause. Versteckt in einem künstlich angelegten Wäldchen finden wir 3 Quadratmeter trockendsten und härtesten Lehmboden und bauen darauf unsere schon lang nicht mehr errichtete Zeltstadt. Nach dem Abendmahl kommen wohl diesen Abend einige Seufzer mehr als sonst über unsere Lippen, doch eine kleine Vorfreude bemächtigt sich unser. Norman, dem wir jetzt viel zu verdanken haben, sehen wir ja zun Glück Pfingsten wieder.

Euer Lo & Mo

 

China V
Shanghai - Yichang, 30. Oktober - 10. November, km 21000

Nun, nachdem auch Shanghai hinter uns liegt, betrachten wir unsere Reise schon etwas mit anderen Augen. Mit neuer Kraft und Zuversicht sind wir nun bereit, die zweite Hälfte unserer Eurasientour in Angriff zu nehmen. In den ersten sechs Monaten richtete sich all unser Tun auf die Zielstadt Shanghai aus. Jetzt blinzeln wir schon mit einem Auge in Richtung Italien bzw. Deutschland.

Der chinesische Verkehr zeigt uns wieder, was es heisst, in Asien selbst ein Fahrzeug zu führen. So freuen wir uns schon über 200 geschaffte Kilometer am Tag. Als wir an einem Abend erfolglos einen Zeltplatz suchen, verirren wir uns schon bei fortgeschrittener Dämmerung in ein enges Tal. Erst durchfahren wir ein Dörfchen, dann wird der Pfad bald unpassierbar und wir sind gezwungen, an Ort und Steller unser Zelt aufzuschlagen.

Nicht lange und das ganze Dorf steht um uns versammelt. Wie immer begrüssen uns alle äusserst freundlich und hilfsbereit. Während wir uns die letzte Mahlzeit des Tages kochen, sitzen so um die 20 Wuschelköpfe um uns herum und amüsieren sich köstlich. Klar - zwei Langnasen in ihrem Tal, das wird noch in Jahren Dorfgespräch sein, doch wir haben Mühe, eine gute Miene zum leidigen Spiel aufzusetzen. Der Abend verläuft noch angenehm gesellig, doch als auch beim nächsten Frühstuck schon der Zoo vorzeitig die Tore öffnet, versiegt bald unser Lächeln auf dem Gesicht. Wir bleiben eine Tag. Ständig besuchen uns Kinder oder Erwachsene, die uns mit Mandarinen überhäufen, die an den herumstehenden Bäumen munter und froh herum wachsen.

Irgendwann reisst uns der Geduldsfaden. An die 20 Kinder springen bereits den ganzen Nachmittag um uns herum, schauen uns ausdauernd beim Reiseberichte schreiben über die Schulter, so dass wir keine Chance zur Konzentration gewinnen. Nachdem wir ihnen deutlich zu verstehen geben, wieder in's Dorf zurückzugehen, machen sie sich nun erst recht einen Spass daraus, uns zu ärgern.

Wie immer auf dieser Reise schlittern wir von einem Problem ins nächste. Am folgenden Tag passieren wir den Jiangtzekiang und bewegen uns 350 km gen Westen, als mit einem Mal die Temperatur um satte 15 Grad fällt. Auch die kommenden Tage nähert sich der Thermometerstand verdächtig weit der Nullmarke. Regentropfen befeuchten unsere Visiere und bald auch noch andere körpernahe Dinge. Dick eingemummelt steuern wir trotzdem unser vor uns liegendes Ziel an. Der Dreischluchtenstaudamm, welcher den Jiangtzekiang über mehrere Etappen zu einem See verwandeln soll, bedeutet uns Grund genug, ihm heut unsere Aufwartung zu machen. Das gesamte Strassennetz um die immer noch im Bau befindliche Staumauer ist jedoch für Zweiräder gesperrt. Nachdem niemand Mitleid mit zwei zitternden, durchnässten, extra aus Deutschland angereisten Bikern zeigt, müssen wir leider Plan B in Angriff nehmen. Ohne etwas gehört oder gesehen zu haben, fahren wir an meheren Kontrollposten vorbei.

Während der erste noch wild gestiklulierend fast sein Gleichgewicht verliert, werden die Reaktionen der nachfolgenden Posten schwächer, bis keiner mehr Notiz von uns nimmt und dann steht sie endlich vor uns. Überdimensional gross, ca 2000 m lang, dick und fett zieht sich ein mächtiger Betonstreifen von einem zum anderen Ende der Schlucht. In der Mitte schiessen in weitem Bogen riesige Wassermassen wasserfallartig aus einer Öffnung in der Betonwand. Die rechte Seite noch im Bau überwuchert ein Kran nach dem anderen. Neben der Mauer geht eine zweispurige Schleusenanlage in 5 unmittelbar aufeinanderfolgenden Stufen abwärts. Der untere Flusslauf zieht sich dann an seinen natürlichen Ufern lang hin und verliert sich malerisch in der Ferne, als ob nichts gewesen sei. Zweigeteilt gestaltet sich meine Impression. Auf der einen Seite eröffnet sich mir ein im wahrsten Sinne des Wortes erhebendes, kolossales Panorama, welches mich den Hut vor solch konzentrierter, geballter Ingenieursleistung ziehen lässt. Auf der anderen Seite erschreckt mich soviel gesammelte menschliche Einfalt, Überheblicheit und Arroganz gegenüber der hier besonders schönen Natur. Wie ist der Mensch überhaupt in der Lage, Gottes geschaffenes Werk auf solch brutale Weise zu vergewaltigen? Doch wahrscheinlich verleitet mich mein übersensibles Empfinden bezüglich jener Themen zu dieser wohl etwas überspannten Sichtweise.

Als brave Touristen knipsen wir jedes erdenkliche Motiv, bis uns wieder einfällt, dass uns ja eigentlich hundekalt ist. Doch da wir unser Pflichtprogramm am Jiangtze planübererfüllt haben, hält uns nun nichts mehr in diesen Breiten. Unsere Karte eröffnet uns zwei Wege gen wärmeren Süden. Wir entscheiden uns natürlich für den falschen.

Eine sympatische kleine Strasse führt in ein übersichtliches Tal, umgeben von wunderschön emporragenden Felsmassiven. Wie nett, denke ich noch so bei mir, wie malerisch die Felswände oben in den Wolken verschwinden. Doch als dann das Asphaltband beginnt, sich mit alpenhaften Serpentinen in jene Höhen hinaufzuschlängeln, dämmert es mir endlich. Der Weg führt durch den Wolkennebel über einen Pass.

Merklich kälter zieht uns das Wolkenklima die letzte Wärme aus den Körpern. Ich beginne zu zittern. Dann neigt sich die Fahrbahn, um kurz darauf naoch höher zu klettern. Wie lange soll das noch so weitergehen? Eine halbe Stunde kämpfen wir uns durch Sichtweiten unter 20 Metern, dann reisst plötzlich das Asphaltband ab. Nur noch ein unübersichtlich, rutschig nasser Pfad führt um die nächste Felswand. Vernunft und Humor sind glücklicherweise noch nicht eingefroren. So beissen wir in den kalten Apfel und kehren um.

Vor einem Abgrund, der nichts ausser herrlich weissen Nebel erkennen lässt, legen wir eine Fotosession ein und geben uns Mühe, dass die Bilder nicht zu verzittern. Dann machen wir eine Pause an einer Art Gasthaus, um uns aufzuwärmen. Öfen kennen die Chinesen nicht, aber ihre Gastfreundschaft schon. Sogleich hält ein jeder von uns einen Plastikbecher mit heissem Tee in der Hand. Das soll heissen Lo hält seinen in der Hand. Eine vieler Reiseerfahrungen ist es, seinen Körper nicht mehr unter Kontrolle zu bekommen. Meine extrem stark zitternde Hand verschüttet die Hälfte. So stelle ich den ungetrunkenen Becher auf den Tisch. Auf Wolke sieben zu schweben, habe ich mir anders vorgestellt. Wer hat nur diesen bemerkenswerten blöden Spruch erfunden.

Nachdem wir uns etwas "aufgewärmt" haben, entfliehen wir dem Nebel und fahren hinunter in's Tal. Meine Gedanken gehen südwärts. Wieviel Kilometer sind es noch, bis wir wärmere Gefilde erreichen? Und gleichzeitig wird mir bewusst, dieser Tag löscht sich nicht so schnell aus unserm Gedächtnis.

Euer Lo & Mo

 

China VI
Yichang - Baoshan, 10. - 30. November, km 23600

Unserer neblige Fahrt durch die Wolken war wohl bisher die extremste Situation bezüglich unseres Kälteempfindens. Die nächsten Tage bemühen wir uns möglichst viele Kilometer in Richtung Süden zu fahren, doch die immer noch unvermindert anhaltenden Temperaturen um den Gefrierpunkt, der wieder mal einsetzende Regen und der wie gewohnt "chinesische" Verkehr mindern erfolgreich unsere Reisegeschwindigkeit. Wenn wir halten, steuern wir gezielt grössere Tankstellen an. Dort bekommen wir fast immer einen Becher heissen Wassers. Dann essen wir meist noch ein Stück süssschmeckendes Brot, bevor wir unsere starren Glieder wieder auf den Motorradsattel schieben.

Während der Fahrt wirkt mein Blick oft starr und stumpf. Der Wind geht meist so scharf, dass er mir teilweise unter die Kleidung fährt. Die Bekleidung der Chinesen unterscheidet sich kaum zu der an wärmeren Tagen. Verkäufer stehen bibbernd hinter ihren Theken. Zusammengekauert hocken einige direkt auf dem Gehweg. Die Garagenwohnungen stehen permanent zur Strasse hin offen. Die Kälte zieht ungehindert überall hin. Heizungen habe ich hier noch nie gesehen. Stattdessen stehen die übergrossen chinesischen Thermoskannen auf vielen Tischen. Die Mopedfahrer mit ihren farbenfrohen Regencapes bekleidet, zittern durch den Regen. Meist versucht der Sozius seine Statur verzweifelt in dem Windschatten des Vordermanns zu verstecken. Manchmal ist das Regencape des Fahrers etwas dicker und zwei Kinderbeine kucken darunter hervor. Auf einem Moped sehe ich einen Vater mit seinem zehn Jahre alten Sohnemann, welcher ohne jegliche Kopfbedeckung die Beine auf den Fussrasten zu stehen hat und anstatt sich festzuhalten in jeder Hand eine volle Einkaufstüte trägt. Doch mein Unverständis für solcherlei Beobachtungen passt nicht in diese Welt.

Nach Tagen endlich krabbelt das Quecksilber noch zögerlich, aber stetig Stück für Stück in einen akzeptablen Bereich. Die chinesische Bergwelt hat uns nun gefangen. Von Zeit zu Zeit wechseln die Hügelformationen und eröffnen uns jedesmal ein neues, interessantes Panorama. Die Landschaftsvielfalt reicht von flachen weiten Hügeln, deren Oberfläche mit vielen sorgfältig angelegten Terassenfeldern geschmückt stets an die ungebremste Emsigkeit der zahlreichen kleinen Wuschelköpfe erinnert, über steile Berghänge, die in den schmalen Tälern nur wenig Platz für Dorf und Feld lassen, bis hin zu skuril in die Ebene gesetzte Karstberge, die auch noch mit steilsten Bergschrägen von einem dunkelgrünen Waldteppich überzogen sind. Zunehmend mischen nun südländische Gewächse in die hiesige Flora. Bambus- und Bananenstauden stehen neben Palmen und Pinien.

Immer wieder fasziniert uns das markante Aussehen der hier lebenden, verschiedenen Minderheiten. Viele Bergbewohner wandern mit grossen geflochtenen Körben auf dem Rücken und gestickter lila- oder blaufarbender Mütze wie kleine Wichtel am Strassenrand entlang. Die Trachten reichen von aufwendig bunt verzierten Gewändern, bis hin zu einheitlich gehaltenen zweifarbenen Kostümen. Wir schaffen es nicht, jede Einzelheit, jede Andersartigkeit in unseren Tagebüchern festzuhalten. Zu verschieden, zu vielfältig malt diese uns fremde Welt.

Wie gewohnt zelten wir möglichst sichtgeschützt auf Terassenfeldern. Die uns ständig belagernden Chinesen gehören derzeit zu unserem Alltag, wie das Reisen selbst. Unser Weg führt über Kunming, wo wir uns einige Tage aufhalten, um uns das nächste Visum für Myanmar (Burma) zu besorgen. Dann geht es weiter in Richtung Westen. Kein Tag ähnelt dem anderen. Manche werden uns wohl immer in Erinnerung bleiben. Wie z.B. der 26. November.

Am Vorabend endet unsere Zeltplatzsuche wegen stark vorangeschrittener Dunkelheit auf einem übersichtlichen, von Berghängen umgebenen Terassenfeld auf dem wohl Gras wuchs. Nachdem Frühstück öffnet wieder der alltägliche Zoo und zwei Bauern stehen vor uns. Beide scheinen nicht zu begreifen, dass wir heute ignorierender Weise wegen zu früher Ruhestörung kein chinesisch können. Doch unsere anfängliche Ingnoranz wird uns diesmal zum Verhängnis. Bauer Li mag es nicht, ignoriert zu werden. Er scheint sich bei uns über drei Quadratmeter heruntergetrampelten Grases zu beschweren. Sicherlich verständlich für uns, doch hat der kleine Chinese keine Ahnung, wie schwierig es sich in seinem Land gestaltet, einen kleinen Zeltplatz für zwei arme, deutsche Motorradfahrer zu finden. Als er noch ungeschickter Weise auf unseren eigentlich mit Sie anzusprechenden Kocher tritt, werde ich ungehalten. Immer wieder gibt er uns zu verstehen, von hier zu verschwinden. Ja, ja Meister! Machen wir! Als ich gerade im Zelt meinen Schlafsack zusammenpacken will, höre ich ein: "Zip" - "Zip". Was war das? Kurz darauf springt Lo zu unserem lebensmüden Wuchelkopf. Ich haste aus dem Zelt und erkenne das Malör. Bauer Li wollte Held spielen und hat mit seiner Machete zwei Spannleinen unserer bescheidenen, aber täglich gebrauchten Unterkunft, gekappt. Ich kann es nicht fassen. Der Meister ist ein und einen halben Kopf kleiner als wir und macht solche Dummheiten. Nun ist erstmal Achterbahn angesagt. Lo spielt Vermittler, während ich schnell auf 180, am liebsten den Rotzbengel übers Knie legen würde. Wir entwaffnen den Intelligenzprotz und sehen zu, dass wir die Sachen zusammengepackt bekommen. Bis zur Abfahrt geraten wir mit Bauer Li immer wieder zusammen. Als wir es dann endlich schaffen unbehelligt davonzufahren, atmen wir erleichtert auf. Eindeutig sehen wir den Fehler in unserem Verhalten, doch die Umstände mit denen wir auf unserer Riese durch China tagtäglich konfrontiert werden, lassen unserem Verhalten oft keine andere Wahl. So werden uns von nun an stets zwei Knoten in den Spannleinen unseres Zeltes an diese Begebenheit erinnern.

Euer Lo & Mo

 

China VII
Baoshan - Mohan (Grenze Laos), 30. November - 12. Dezember, km 25300

Nie wird uns das Reisen langweilig. Es erklärt sich mittlerweile zu einer Art unsichtbarem Gesetz, dass in fast schon berechenbarer Regelmässigkeit völlig unberechenbare Situationen uns vor ein jedesmal anders geartetes Probleme stellen. Mal entweicht in unpassendsten Momenten die Luft aus einem Hinterreifen, dann kämpfen wir mit bewaffneten Reisbauern, ein anderes Mal schüttelt es uns vor Kälte bis wir wieder vor einem nächsten Problem stehen, dessen Namen und vor allem dessen Lösung wir noch nicht wissen.

Mit dem Erreichen des chinesisch-burmesischen Grenzortes Ruili stehen wir wie vor einem nächst höheren Level eines Computerspiels. Aus unseren Recherchen wissen wir, dass man uns den Grenzübertritt nicht leicht machen wird. So kaufen wir für die nächsten 14 Tage Lebensmittel, um eventuelle Meinungsverschiedenheiten aussitzen zu können. Unsere Zuversicht labt sich von vergangenen Grenzübertritten. Plan A, Plan B, und Plan C fest einprogrammiert, stehen wir nun vor dem ersten Grenzposten. Unsere Visa glänzen im Pass. Alles scheint in Ordnung, doch leider erwischen wir wieder einen Übereifrigen, der sich sicherheitshalber bei seinem burmesischen Kollegen erkundigen will, ob wir auch ohne Probleme in Burma einreisen dürften. Als er sein Häuschen verlässt, durch ein grosses gemauertes Tor schreitet und nach wenigen Augenblicken wieder auftaucht, um uns zu gestikulieren ihm zu folgen, registrieren wir mit äusserstem Unbehagen, dass es bei diesem Checkpoint gar kein Niemandsland gibt. Wir treten durch das graue Steintor und befinden uns bereits auf burmesischen Boden.

Nacheinander gesellen sich in einen langen Rock gekleidete Beamte zu uns. Ihre Sandalen an den Füssen und ihre allgemeine Erscheinung lassen sie uns kaum Ernst nehmen. Jedenfalls endet die Diskussion in der sturen Forderung einer Sondererlaubnis. "No have" würde der drei Worte sprechende Chinese jetzt sagen. Mit 200 Dollar und 2 Wochen Wartezeit wäre alles kein Problem. Doch dann kommen wir auf die brav jenseits des Steintors wartenden Yamies zu sprechen und keiner der Wichtigen kann uns eine mögliche Einreise mit dem Krad garantieren. Die Sondererlaubnis wäre nur personengebunden. Wieder auf der chinesischen Seite angelangt, müssen wir unser ABC-Szenario erstmal unverrichteter Dinge in die Tasche stecken.

Drei Tage überlegen wir, recherchieren wir und kommen letztendlich zu nur einer einzigen Lösung: Plan D. Da die danach folgende Einreise nach Indien gleichgearteter Probleme behaftet ist, entschliessen wir uns, nach Süden abzudriften. Laos soll auch ein interessantes Reiseland sein...:). Die chinesischen Einreisebestimmungen überlistet, legen wir uns nun mit dieser Bananenrepublik die Karten. Wir brauchen etwas Zeit um unsere Motivation wieder hochzufahren. Dann starten wir erneut in die unendliche chinesische Bergwelt.

Nachdem uns wiedermal die unglaublichen chinesischen Strassenbaustellen unnötig viele Nerven gekostet haben, morpht die Flora nun zu auffallend urwüchsigen Formen. Es wird dunkler und dunkler. Nur sporadisch fallen die Sonnenstrahlen durch das uns umgebende Blätterdach. Gewaltige Baumriesen strecken ihre massiven Stämme in die Höhe. Ihre weit ausladenden Baumwipfel verschmelzen sich mit denen der Nachbarn zu einem einzigen Blätterwerk. Tiefer und tiefer geht es hinein in dieses Paradies. Lianen hängen über der Strasse. Ich könnte mich während der Fahrt an einer solchen Girlande hoch in die Äste schwingen, doch spätestens in der nächsten Kurve wüsste meine Yamie nicht mehr, wohin sie fahren sollte und so lasse ich es lieber bleiben.

Wie ein Schlauch zieht sich das Asphaltband schüchtern duch das schier undurchdringliche Dickicht. Ein Wunder, dass der Strassenlauf sich nicht vollends in dieser grünen Masse verliert. Jeder Zentimeter ist gefüllt mit Bäumen, Buschwerk oder hohen Gräsern. Manche Pflanzen bilden dermassen grosse Laubblätter aus, dass man denken könnte, man befände sich in einem Märchenwald. Überall verschwimmen Äste, Lianen Hängepflanzen, dicke Stämme und ein unbeschreibliches Blättermeer zu einem grossen Ganzen. Eine schwer zu definierende Magie umgibt mich. Ehrfurcht und Respekt bemächtigt sich meiner. Was ich früher mit der Definition Wald beschrieben hatte, nimmt hier ungeahnte Ausmasse an. Erneut begreife ich, das alles ein grosses Ganzes darstellt. Als ein kleiner Teil des temporär gegenwartigen Seins sollte die Spezies des Humanus Erectus ganz schüchtern und bescheiden die ihr zugeordnete Rolle im Spiel der Welten wahrnehmen. Warum muss dieses eingenartige Phänomen Mensch so arg aus der Reihe tanzen? Mit diesen Gedanken fahre ich Lo folgend, den Kopf wie eine Rundumleuchte drehend durch den mich absolut unbeschreiblich faszinierenden, chinesischen Urwald dicht an der Grenze zu Laos.

Euer Lo & Mo

 

Laos
Borter - Vientiane, 12. - 15. Dezember, km 26100

Mit unserer Fahrt durch China nähert sich ein grosses Kapitel der Reise dem Ende. Von der mongolisch - chinesischen Grenze, über Peking nach Shanghai, von Shanghai nach Wuhan, von Wuhan über Kunming zur chinesisch - burmesischen Grenze und von dort aus zur chinesisch - laotischen Grenze trugen uns unsere Yamies treu quer durch das Reich der Mitte. Schon jetzt haben wir das Gefühl, dass unser Chinabesuch den Höhepunkt unserer Reise allgemein beschreiben wird.

Wie bei der Einreise gestaltet sich natürlich auch die Ausreise aus China problemlos. Noch bis auf die letzten Kilometer begleiten uns die überall zu beobachtenden chinesischen Eigenheiten. Egal wo man steht und geht, laufen einem Chinesen über den Weg, die uns mit ihrer unsagbaren Neugier, aber auch mit ihrer unendlichen Freundlichkeit stets an Kindercharaktere erinnerten. ... und nun, nachdem wir die Grenze passiert haben, umgibt uns zwar immer noch beeindruckender Urwald, doch vermissen wir hier die vielen kleinen umherlaufenden Asiaten. Die können sich doch nicht alle im Dschungel versteckt halten.

Nein - die Bevölkerungsdichte Laos' im Vergleich zur Chinesischen bedeutet eher einen Tropfen auf den heissen Stein. Erst nach mehreren kurvigen Kilometern durchfahren wir das erste laotische Dorf. Stets nach Grenzübertritt verschlägt uns die Metamorphose in eine andere Welt. Die Hütten der hier lebenden Bergvölker wurden grössten teils auf Stelzen errichtet. Die Wände der Behausungen bestehen aus geflochtenen Bambusmatten, während die Dächer mit sorgfältig gebundenen Schilflagen bedeckt sind. Vor den Eingängen sitzen Kinder auf einer grosszügigen Plattform. Ihre wunderschön tiefdunkle Hautfärbung lässt ihre braunen Augen noch wärmer leuchten, wenn sie uns beim Vorbeifahren begeistert hinterherschauen. Gross und Klein steht am Strassenrand und winkt, was das Zeug hält. Jedesmal sind wir bemüht ihren Gruss zu erwidern, doch hätten wir wohl extra dafür vorher einen Kurs im einhändigen Motorradfahren absolvieren sollen...

Je mehr wir uns weiter in's Landesinnere vorwagen, desto dünner wird der Urwaldteppich. Schon sehen wir vereinzelt kahle Berghänge, wo vorher noch eine dichte grüne Matte weit über den Horizont hinaus Geschlossenheit demonstrierte. Wie schon oft während meiner Beobachtungen mischt sich auch jetzt Traurigkeit unter meine eigentliche Begeisterung. Nach langer Zeit treffen wir hier wieder auf die ersten Ausländer und wie immer kommen sie aus Sachsen. Der Raum um Dresden muss doch eigentlich menschenleer sein. Die Jungs wandern über den ganzen Erdball, da kann doch unmöglich noch jemand von ihnen zu Hause rumsitzen...

Man erzählt uns von vereinzelten Schiessereien zwischen den Städten "Hab ich mir nicht merken können" und "Wie war der Name nochmal?". In den Bergdörfern laufen Schutzmänner mit respekteinflössendem Gewehr über der Schulter über die Plätze. Wir sehen diesen doch eher ernstzunehmenden Warnungen aber nüchtern und gelassen entgegen. Doch je weiter wir uns bewegen, desto mehr häufen sich Anzeichen, dass die Jungs hier den wilden Westen reproduzieren. Wir werden vorsichtiger bei unserer Zeltplatzsuche.

Eine Übernachtung noch, dann würden wir schon wieder aus der Gefahrenzone herausfahren. Diesmal finden wir rechtzeitig ein recht gut verstecktes Plätzchen. In der Abenddämmerung dann fällt uns fast vor Schreck die Bierflasche aus der Hand bzw. bleibt mir der Satz im Halse stecken, als wir in der Nähe mehere Male kurz aufeinanderfolgend Maschinengewehrfeuer hören. Danach folgen einzelne Schüsse. In China hätte ich sofort an eine Schiessübung des chineischen Militärs gedacht oder an einen verspielten kleinen Chinesen, der zu gern, zu oft Silvester spielt, doch hier in den laotischen, chaotischen Bergen wägt die Bedeutung des eben Gehörten absolut indiskutabel. Wir unterhalten uns nur noch gedämpft. Ich schlage vor, als angebrachte Vorsichtsmassnahme unseren doch eher eine startende Cruise Missile-Rakete nachahmenden Campingkocher heute ausnahmsweise nicht in Betrieb zu nehmen.

Gerade haben wir uns vom ersten Schreck erholt und versuchen die immer noch in regelmässigen Abständen zu vernehmenden Schüsse zu überhören, als jemand in unmittelbarer Nähe mit Taschenlampe bewaffnet einen uns doch eher zu steilen Berghang emporklettert. Jungs, nun reichts aber mit eurer Kinovorstellung! Wir vermeiden nun jegliches Geräusch und ziehen uns mucksmäuschenstill in's Zelt zurück. Die Nacht verläuft wider Erwarten störungsfrei, doch hätten wir gerne am Vorabend auf die laotische Folge von "Real-TV" verzichten können.

Wir setzen unbehelligt unsere Route fort, sehen noch der Vollständigkeit halber merkwürdige Kreidezeichnungen auf dem Asphalt in kommenden Dörfern, die seltsamer Weise an eine umrundete Menschengestalt erinnern, bis wir im folgenden mehr zivilisierten Flachland von Laos einen Tag später die Grenze zu Thailand passieren.

Euer Lo & Mo

 

Thailand/Malaysia I
Nong Khai - Kuala Lumpur, 15. Dezember 2003 - 1. Januar 2004, km 29000

Wann bekommt man schon mal die Gelegenheit, Thailand im Motorradsattel zu erleben? Das geht ganz einfach. Man muss nur über Russland rechts in die Mongolei abbiegen, dort das Krad auf einen LKW verladen, dann über Peking und Shanghai bis zur burmesischen Grenze fahren, um danach die Grenze zu Laos zu passieren. Wenn man sich bis dahin nicht verfahren hat, muss man nur noch an der letzten Ampelkreuzung geradeaus. Anschliessend kramt man noch das Video "Thailand" aus dem Schrank und kann sich gemütlich zurücklehnen.

Grosse, weite Plätze von grosszügig angelegten Schulkomplexen fliessen an uns vorbei. Überdimensionale Bilder vom amtierenden thailändischen König stehen stolz präsentiert auf dem Mittelstreifen der Fahrbahn, welcher sich nun ungewohnter Weise rechts von uns befindet. Die Thais weisen jeglichen eventuellen Einfluss damaliger benachbarter britischer Kolonie weit von sich, haben aber Linksverkehr und in ihrer Flagge die Farben blau, rot und weiss vertreten ...

Überhaupt wirkt das ganze Umfeld hier schon verdächtig zivilisiert. Diese uns so sympatisch gewordenen asiatische Verschlafenheit und Ziellosigkeit verschwimmt neben protzigen Pick-ups, prestigeheischenden Villen und stolzen Konsumtempeln. Doch in den kleinen Gassen am Strasserand und in den abseits gelegenen Dörfern hat sich das asiatische Gesicht noch bewahren können.

Zur Mittagszeit kehren wir in einer Garküche ein und lassen uns bekochen. Während der Nahrungsaufnahme bedroht uns der erste thailändische Tiger. Er sitzt neben Lo auf der Bank. Doch jedesmal wenn er versuchsweise ein Pfote auf die Tischkante legt, reicht ein strenger Blick aus, um das wohlerzogenen Tier von seinem Vorhaben abzubringen.

Erstmalig erreichen wir hier die Küste des Indischen Ozeans. In einem Hafen befragen wir den Wachmann, ob von diesem Port aus Schiffsverkehr nach Indien besteht. Doch das Wort Indien kommt in seiner Stellenbeschreibung nicht vor. So bleibt uns nichts weiter übrig, als die Westküste nach Süden abzuklappern. Keine Küstenstadt scheint gross genug, um einen internationalen Hafen unterhalten zu können. In den Internetcafes suchen wir wie auf heissen Kohlen sitzend nach uns nützlichen Informationen. Auf den deutschen Seiten werben kommerzielle Weihnachtsangebote. Ja klar, morgen ist ja Heilig Abend. Doch bei 30 Grad Celsius im Schatten, Palmen und Sonnenbrand fällt es uns schwer an Weihnachten zu denken.

Seit dem wir durch Thailand düsen, waren wir jeden Abend bemüht, ein schnuckliges Zeltplätzchen am Strand unter Palmen zu finden, doch pompöse Hotelanlagen verwehrten uns bisher jeglichen Zugang. Ausgerechnet zu Heiligabend fahren wir in der Dämmerung duch eine ausgedehnte Palmenplantage, die direkt am Wasser liegt. Eine dichte Hecke versperrt uns die Sicht auf's Wasser. Plötzlich reisst diese kurzzeitig ab und gibt ein herrliches, paradiesisches Panorama mit Palmen, weissem, endlos einsamen Strand und türkisfarbendem Wasser frei. Ganz aus dem Häuschchen freuen wir uns wie kleine Kinder über dieses Weihnachtsgeschenk. Unsere Zeltstatt wird auf dem Rasen errichtet. Dicht daneben schon auf dem Strandsand, wurde extra für uns ein Holztisch mit Bänken angelegt. Einfach traumhaft dieser Ort.

Jetzt vermisse ich nur noch eins. Ich weiss, dass meine Freundin es immer wieder schafft, mich zu überraschen. Deswegen bin ich fast überzeugt, dass sie sich hier irgendwo versteckt hält. Ausdauernd suche ich hinter jedem Busch und hinter jeder Palme. Selbst die Kokusnüsse im Gras hebe ich eine nach der anderen hoch. Zierlich genug wäre sie ja für ein solches Versteck. Doch nachdem ich auch das seichte Wasser abgesucht und den Strand umgegraben habe, kann man wohl meine Enttäuschung in den Augen lesen.

An diesem Abend brennt eine Kerze auf dem kleinen Holztisch. Mit Gitarre bewaffnet singen wir unsere Lieder (natürlich keine Weihnachtslieder!). Der märchenhafte Ort gefällt uns so gut, dass wir beide Feiertage dort bleiben und einmal richtig entspannen. Wir kämpfen mit störrischen Kokusnüssen, holen uns einen Sonnenbrand, beobachten die Krabben, wie sie auf dem Strand ungestört ihre Löcher buddeln und versuchen die ganze Zeit uns zu vergegenwärtigen, dass Weihnnachten ist und wir es bis hierher mit unseren Motorrädern geschafft haben.

Die schönsten Zeiten gehen zu schnell vorbei und so sind wir am 27. Dezember bereits wieder unterwegs, um unser Schiff nach Indien zu finden. Auf der touristisch erschlossenen Insel Pukhet gibt es nur Fähren zu benachbarten Inseln. Also steht es nun fest: Wir müssen noch ein Land weiter südlich tingeln.

Malaysia empfängt uns noch zivilisierter, als sein Nachbar. Die Verkehrsgeschwindigkeit hat nun überhaupt nichts mehr mit der chinesischen gemein und steht der europäischen in nichts nach. Limousinen lösen die in Thailand noch dominierenden Pick-ups ab. Überhaupt besitzen die Malayen schon einen recht hohen Lebensstandard. An der eher stark besiedelten Westküste des Landes trägt uns eine gut ausgebaute Autobahn schnell gen Süden.

Unser erster Hoffungsschimmer am Horizont heisst Penang. Ein nun wirklich zivilisiertes Land besitzt natürlich auch internationale Schiffsanbindung. Nach einem Tag Recherche, der uns kreuz und quer durch Penang führt, verdichten sich unsere Informationen. Es gehen zwar internationale Schiffe von diesem Hafen, doch steuern alle vorerst den etwas abseits gelegenen Hafen von Kuala Lumpur an.

OK! Kein Problem! Wir sind ja zum Reisen hier. Nachdem wir den Silvesterabend ungeachtet auf einem Zitronenbaumfeld verbrachten, auf dem uns statt der lärmenden Blitzknaller, wie zu deutschen Landen, nur die zu Boden fallenden Zitronen in den Schlaf wogen, erreichen wir zu Neujahr die Hauptstadt Malaysias und somit den "Nordhafen" des Landes, der uns ein neues Kapitel bzw. Abenteuer unserer Reise bescheren soll.

Euer Lo & Mo

 

Malaysia II
Kuala Lumpur, 1. - 31. Januar, km 30000

Malaysia - das klingt nach Tropensonne, Urwald und weit weg. Die Sonne hier gibt sich tatsächlich tropenhaft. Die Nächte stehen den Tagen in Wärme und Schwüle in nichts nach und sind nur mit kühlender Klimaanlage zu ertragen. Den Urwald gibt es in Malaysia noch reichlich. Tief, dicht und undurchdringlich spannt er immer noch ein breites, grünes Band zwischen Ost- und Westküste des Landes. Nur bin ich nicht mehr in der Lage, zu beurteilen was weit weg bedeuted. Auf jeden Fall kann ich mit Sicherheit sagen, dass die Anordnung der Staaten auf herkömmlichen Globen wirklich der Realität entspricht. Nach Laos kommt Thailand und nach Thailand schliesst sich in südlicher Richtung Malaysia an.

Allerdings die Erde als eine Kugel darzustellen beweist nunmehr eindeutig den Mut törichter Geister. Nie konnten wir auf unseren täglichen Etappen eine Art Erdkrümmung ausmachen. Stets führte die Strasse geradeaus, bis an die nun vor uns liegende Westküste Malaysias. Ein Schiff wird kommen sangen früher ebenso törichte Stimmen/Kehlen. Ja, wo ist denn das Schiff? Viel gab es an der Küste Thailands zu entdecken. Auch Malaysias Westküste malt schönste Panoramen, aber ein Schiff nach Indien war nirgends nicht im Ansatz zu finden.

So langsam treibt uns die Geographie in die Enge. Seitdem wir nahe Kuala Lumpur jeden Tag den "Nordhafen" besuchen, um einen Käpten zu überreden, zwei verzweifelte Deutsche samt ihrer Moppeds mit an Bord zu nehmen, vergehen die Tage wie im Fluge. Sogenannte Schiffsagenten verwehren uns stets ein persönliches Gespräch mit den Käpitänen der fast täglich nach Indien auslaufenden Containerschiffe. Da wir uns ungehindert auf dem Hafengelände bewegen dürfen, lassen wir nach einer Weile die Schiffsagenten links liegen und gehen sofort nach Anlegen eines Indiendampfers persönlich an Bord, um mit dem Kapitän zu sprechen. Auf der "Border", einem Containerschiff unter türkischer Flagge, empfängt uns der noch recht junge Schiffsführer Irrfan erst etwas kühl. Irgendwann fängt er aber doch Feuer für unsere Geschichte. Zusammen mit seinem Schiffsingenieur Ahmed sitzen wir abends in der Lounge. Die Jungs spendieren uns ein Bierchen nach dem anderen, so dass uns das stetige leichte "Auf" und "Ab" des Riesenschiffes mehr und mehr Unbehagen bereitet. Von Zeit zu Zeit erschüttert das harte Aufsetzen neuer Container das ganze Schiff. Beide interessieren sich zunehmend für unsere Geschichte, doch der Captain schafft es letzendlich doch nicht, über seinen Schatten zu springen. Zu sehr knebeln ihn die Reglementierungen des Schiffseigner bzw. seiner türkischen Company. Kurz bevor um Mitternacht die Border wieder in See sticht, schaffen wir es gerade noch uns von unseren sympatischen Gastgebern zu verabschieden. Ahmed drückt uns noch als Zeichen des eigentlich guten Willens ein Glas türkischer Marmelade und eine Hand voll Brot in die Hand. Traurig blicken unsere an der Kaimauer geparkten Yamies drein, als wir unverrichteter Dinge zu ihnen zurückkehren müssen. Vielleicht fürchteten sie schon, wir würden ohne sie abfahren.

Die nächsten Tage zermürben unsere Motivation. Die Antwort der Schiffskapitäne ist stets die Gleiche. Entweder erhalten wir ein klares "Nein!" oder man verweist uns zu den für sie zuständigen Schiffsagenten. Seit dem 11. September in New York traut sich niemand mehr Passagiere mit an Bord zu nehmen. Wir sehen uns gezwungen, unsere Taktik zu ändern. Nach 14 Tagen erfolgloser Suche läuft die Border wieder ein. Bevor wir uns von Irrfan und Ahmed verabschiedet hatten, bot uns der Kapitän noch an, unsere Krads mitzunehmen - ohne uns. So konzentriert sich nun unsere ganze Hoffnung auf sein 2 Wochen altes Angebot. Doch als wir Irrfan und Ahmed zu Gesicht bekommen, haben sie merkwürdiger Weise keine Zeit mehr für uns. Keine Antwort ist auch eine Antwort und wieder zeichnet Enttäuschung die schnell gealterten Züge unserer Gesichter. Erneut ändern wir unsere Vorgehnsweise und entschliessen uns für Plan "C". Wir beauftragen eine Speditionsfirma unsere Moppeds zu verpacken und in einem Container nach Indien zu verschiffen.

Als wir an diesem Abend unweit des Hafens unser Zelt aufschlagen, lernen wir Adela und Yeo kennen, die uns netter Weise zum Abendessen einladen. In einem Fischrestaurant erzählen wir ihen unsere derzeitige Situation. Die Gastfreundschaft der beiden überschlägt sich fast. Erst bieten sie uns an, in ihrer Garagenwohnung zu übernachten, dann sollen wir in Kuala Lumpur (KL) ein Zimmer ihrer Wohnung beziehen und ihren privaten Kleinbus nach Belieben benutzen. Das geht etwas zu schnell. Geschickt suchen wir nach Ausreden, um ihre grosszügigen Angebote auszuschlagen. Bis die Moppeds in Holzkisten verpackt sind, verbringen wir noch einige Nächte in ihrer Garagenwohnung am Nordhafen. Dann haben wir nichts mehr zu verlieren und wechseln nunmehr moppedlos über in ihre Hauptresidenz nach Kuala Lumpur.

Die keine Grenzen kennende Gastfreundschaft der beiden Malayen versüsst uns den Aufenthalt in KL auf angenehmste Weise, doch wir bleiben nicht untätig. Da sich die Verschiffung der Krads um eine Woche verschiebt, nutzen wir die kleine Atempause, um Reiseberichte zu schreiben. Mit dem Kleinbus von Yeo und Adela fahren wir an die Ostküste. So lernen wir noch ein bischen mehr als nur die Häfen des Landes kennen, doch das 15 Liter auf 100km fressende Monster lässt uns unsere Malaysiarundtour stark verkürzen. Schon nach 2 Tagen sitzen wir wieder über Tagebüchern, Reiseberichten und Postkarten.

Aber auch die schönsten Zeiten gehen irgendwann einmal zu Ende. Am frühen Morgen des 31. Januars wecken uns wie jeden Morgen die wie blöd über's Vordach turnenden wilden Affen. Fast haben wir uns schon an sie gewöhnt. In der Morgendämmerung fährt uns Adela noch zum Bahnhof, wo wir Zugverbindung zum 60 km weiter ausserhalb liegenden Flughafen haben. Wir bedanken uns noch einmal herzlich bei ihr und sind einfach baff über so viel selbstloser Gastfreundschaft. Dann sitzen wir schon im Flieger nach Chennai (früher Madras). Der Schub drückt uns in die Sitze und kurz darauf heben wir ab.

Euer Lo & Mo

 

Indien I
Chennai, 31. Januar - 7. Februar, km 30000

Seitdem wir am 5. Dezember letzten Jahres auf unserem Weg nach Indien vor der Grenze zu Burma scheiterten, sind nun mehr knapp zwei Monate vergangen. Hart setzt das Flugzeugfahrwerk auf indischem Boden auf und die darauf folgenden Erschütterungen rütteln uns kräftig durch. Wir haben es tatsächlich geschafft. Endlich sind wir in Indien, unserem 9. Reiseland.

Unser erster Schritt aus dem doch eher übersichtlichen Flughafengebäude gleicht einem Knopfdruck auf den Videorecorder, in dem ein indischer Film wartet abgespielt zu werden. Wie bei einer Oskarverleihung stehen Menschen rechts und direkt vor uns dicht an ein Geländer gedrängt. Neugierige dunkle Augen richten sich auf uns. Einige halten Schilder in die Höhe: "Welcome to Chennai, Mr. Baja!" oder "Welcome Mr. Samuel!" oder einfach nur Namen sind auf ihnen zu lesen. Auf unserem Weg zur Bushaltestelle werden wir von Taxi- und Rikschafahrern umlagert. Schmierige Gestalten kommen uns bedrohlich nahe. Erbarmungslose Hitze knallt mir entgegen. Am Strassenrand entlang spazierend sticht mir intensiver Uringestank kompromisslos in die Geruchsabteilung. Müll in leicht dekorativem Stil säumt den nicht vorhandenen Bordstein. Für Inder scheinen nicht taxifahrende Ausländer nicht zu existieren. Mit einem Bus, welcher wie aus einem Teil geschnitzt scheint und an allen Ecken und Enden mit einem Klappern und Quietschen sein eigenes bullerndes und fauchendes Fahrgeräusch versucht zu übertönen, fahren wir ins Zentrum Chennais. Wirklich wie vor der Mattscheibe sitzend, kleben unsere Augen an den sich uns nun eröffnenden Strassenszenen. Alles was Füsse oder Räder hat, ist hier unterwegs. Fette Buskolosse, denen in den Fenstern jeglicher Glaseinsatz fehlt, schieben sich ebenso wie die unheimlich respekteinflössenden Monstertrucks durch die aus allen Nähten platzende Strasse. Dazwischen wirken die Dreiradtaxis, Rikschas, PKW Limousinen und Fahrradkolonnen eher klein und unbedeutend. Hier gibt es Fahrzeuge, die gibt es gar nicht. Einfach unglaublich, was hier auf Rädern unterwegs ist. In diesem dichten Gedränge springen Fussgänger geschickt zwischen den ihnen noch verbleibenden Lücken von einer zur nächsten. An der Endstation angelangt, kippt uns der Bus ab in diese eindrucksvolle Märchenwelt. Im Hafenviertel von Chennai stolpern wir dann durch immer kleiner werdende Gassen auf der Suche nach der Speditionsfirmenadresse. Berge von Müll türmen sich neben Garküchen und Garagenwohnungen. Mütter waschen ihre Kleinkinder direkt auf der Strasse. Deren dicke, aufgeblasene Bäuche deuten zweifellos auf Unterernährung hin. Müllgeruch, Garküchenduft und der Gestank von verfallenen Lebensmitteln verwirbelt sich in den heissen Luftzügen zu einem explosiven Gemisch. Im 3. Stock eines Wohnblockes stehen wir auf einmal in einem angenehm klimatisierten, ordentlich aufgeräumten Büro.

Unsere Hoffnung, noch vor Wochenende an unsere Moppeds zu gelangen, begründet sich auf wahrhaft illusorischer Einbildung. Die Krads stecken im indischen Zoll und die Bedeutung dieser Tatsache übertrifft jegliche unserer momentanen noch zutiefst jungfräulichen Ahnungen. Eine zweite Firma, welche sich mit Zollangelegenheiten beschäfftigt, wird beauftragt, sich unserer Belange anzunehmen. Doch Freitagnachmittag geht nichts mehr und man bestellt uns für Montag um 10:00 Uhr in's Büro. Wieder stapfen wir durch die Hitze und die Slums von Chennai. Nach mehreren Besuchen überfüllter Guesthäuser finden wir in der Mannady Street eine akzeptable Bleibe. In unserem Zimmer angelangt, lassen wir nur noch die schweren Taschen fallen, schmeissen uns aufs Bett und schalten erst einmal das Video "India" aus. Zu viele Menschen, zu viel Chaos, zu viel Armut umgab uns in den letzten Stunden. Dazu beschäfftigt uns noch das Wirrwarr um unsere fahrbaren Untersätze. Zum Glück hilft uns unsere dremonatige Chinaerfahrung die sich momentan überschlagenden Eindrücke zu ordnen und zu archivieren. So überwinden wir relativ zügig jeden Ansatz von Kulturschock. Wir nutzen das Wochenende um nach Belieben unseren Märchenfilm an und bei überlaufen sofort wieder auszuschalten. Sowie wir den schmalen Treppenaufgang unseres Hotels passiert haben, genügt ein Schritt vor die Tür und eine neue Geschichte aus Tausend und einer Nacht nimmt seinen Anfang. Ja oft komme ich noch nicht einmal zu diesem ersten Schritt, weil mir ein bettelndes Kind im Türrahmen stehend die Hand aufhält.

Die nächsten Tage irren wir von einem Speditionsbüro zum nächsten. Dann schickt man uns wieder ins Zollgebäude und von dort aus zur nächsten Institution. Unsere Ungeduld wächst unkontrollierbar. Wir wollen doch nur unsere Moppeds!!! Langsam Stück für Stück füllt sich unsere Akte mit sage und schreibe mehr als 20 Dokumenten, aber von einem eventuellen Abholen unserer Motorräder, welche in einer Lagerhalle auf dm Hafengelände traurig vor sich hinwarten, ist noch lang nicht die Rede. Nachdem wir in Malaysia zahlreiche Tage des Wartens und der Ungewissheit durchleben mussten, setzt sich nun unsere Odyssee, unserer Kampf einfach nur frei reisen zu können weiter fort. Einmal mehr zeigen uns diese Tage unsere Entschlossenheit und unser Hand in Hand arbeiten und wo mancherorts vier Hände nicht ausreichen, erfüllt es einem mit besonderem Stolz, wenn plötzlich aus dem Nichts eine unsischtbare 5. und 6. Hand einen nicht im Stich lassen.

Nachdem dann tatsächlich die indische Bürokratie sich in aller Form mehr als übertroffen hat, eröffnet sich uns ein nächstes Problem. Die Speditionsfirma, ohne die wir keine Chance haben würden an unsere Yamies zu kommen, präsentiert uns nun eine Rechnung nach der anderen, auf der Posten aufgelistet stehen, von denen nie zuvor die Rede gewesen war. Doch wir haben keine Wahl. Ein Gang zur Polizei würde nur eine weitere Mühle der Bürokratie in Gang setzen, die abgesehen vom Ausgang der Prozedur vor allem erst einmal wir zu bezahlen hätten. Widerwillig bezahlen wir die Hauptrechnungen, lassen uns aber ein Hintertürchen offen, indem wir die letzte Forderung, welche immerhin noch 175 USD betragen soll, erst nach Erhalt der Maschinen begleichen wollen.

Dann ist es endlich soweit. Nachdem nunmehr einer Woche stehen wir vorm Hafentor. Regeln über Regeln halten hier einen gewaltigen Verwaltungsapparat künstlich am Leben, so dass am Ende keiner mehr so richtig weiss, was erlaubt ist und was nicht. Die Hafenpolizei verweigert den zur eigenen Institution gehörenden Zolldamen den Zutritt zum Hafengelände. Irgendwann stehen wir dann vor unseren Moppeds in der Lagerhalle. Als ich ein Foto von unseren Lieblingen mache, bricht unendliches Gezeter los, weil ja Fotografieren im Hochsicherheitstrakt streng verboten sei. Nach dem Entholzen unserer Stahlrösser kontrollieren die Zolldamen jeden Zentimeter unseres Kisteninhaltes. Danach glauben wir es endlich geschafft zu haben, doch man kann sich ja mal irren. Wir streiten uns mit unserem Speditionsidioten herum, weil er seine 175 USD fordert, doch noch sind wir nicht vom Hafengelände. Da er mit seinen Befugnissen und Dokumenten alle Macht in den Händen hält, verschwindet er einfach und wir schon in Motorradmontur müssen uns wieder die normalen Sachen anziehen. Alles bleibt weiter unter Verschluss. Wir können nichts weiter tun, als auf morgen hoffen.

Tags darauf schickt unser Sturkopf von gestern einen seiner Angestellten. Wieder stehen wir vor den Moppeds. Ihm schaffen wir es tatsächlich begreiflich zu machen, dass wir ohne seine Dokumente das Hafengelände nicht verlassen dürften. Bevor wir die Sachen verpackt haben und startklar sind, entfernt sich unser heutiger Kontrahent mit der Bemerkung, er würde pro Krad von uns noch weitere 6 USD bekommen, sonst kämen wir nicht vom Gelände. Er selber würde am Ausgang auf uns warten. Höchst angespannt und etwas aufgeweicht irren wir auf dem Hafenareal umher. Erst jetzt bemerken wir, dass der Hafen unzählig viele Ausgänge hat. Man schickt uns von einem zum nächsten Tor, doch unser Geldgieriger ist nirgends auszumachen. Als wir weit entfernt der Lagerhalle an Tor 8 heranfahren, zeigen wir unbekümmert unschuldig unseren Hafenausweis vor. Darauf hin deutet man uns zu passieren und das Unmögliche wird wahr. Die Inder haben sich mit ihrem eigenen Regelwald selbst die Karten gelegt. So sind wir im Handumdrehen im dichten Verkehrsdschungel der Stadt verschwunden und waren nie mehr gesehen.

Euer Lo & Mo

 

Indien II
Chennai - Nagpur, 7. - 12. Februar, km 31000

Wir sind frei! Wir sind endlich wieder frei!

Obwohl uns eigentlich niemand gefangen hielt, waren wir die letzten Wochen gezwungen, uns an einem Ort aufzuhalten. Erst kämpfen wir in Kuala Lumpur den gesamten Januar, um eine Möglichkeit zu finden, irgendwie nach Indien zu gelangen und dann müssen wir uns auch noch in Chennai eine geschlagene Woche lang gegen die indische, unglaubliche Bürokratie wehren, nur um unsere Moppeds aus dem indischen Zoll zu bekommen. Dabei haben die Inder mit unbeschreiblicher Geschicklichkeit einen Rekord aufgestellt. In nur 7 Tagen sammelten sie dermassen viele Minuspunkte, wie keine Land auf unserer bisherigen Reise in seiner Gesamtbewertung aufweisen konnte.

Während wir Chennai gen Westen verlassen, trägt uns noch jenes Gefühl des Triumphes, unseren schmierigen, geldgierigen Kontrahenten letztendlich doch noch eins ausgewischt zu haben. Es hilft uns, die letzte Woche vorläufig beiseite zu legen und uns auf unsere Umgebung zu konzentrieren. Der indische Verkehr ist schon eine Erfahrung wert. Er fordert regelrecht unsere Konzentration heraus. Chaosartig, hupend, regellos drückt sich alles Fahrbare stockend, stauend durch die City. Unsere excellente dreimonatige chinesische Fahrpraxis bereitete uns wohl unbewusst ausreichend auf den uns nun umgebenden Verkehrswahn vor.

Es bleibt sogar etwas Zeit, die Blicke schweifen zu lassen. An Bushaltestellen stehen viele düstere, grimmige Gesichter. Nur die Saris einiger Frauen - eine typische indische Bekleidung aus einer 5 Meter langen Stoffbahn - leuchten kräftig Rot, Orange oder Gelb. Über den zahlreichen Geschäften am Strassenrand prangen übergrosse Werbetafeln meist spartanischen Inhalts. Sprüche oder einzeln ausgeschnittene Motive von Personen oder Gegenständen wirken darauf wie extra aufgeklebt. Eine der Werbetafeln zeigt eine Reihe von Inderinnen hintereinander stehend, welche stylistisch unterschiedliche, äusserst farbenfrohe Gewänder tragen. Mit der Aufschrift "Chennai Silk Store" wirbt das Banner für den wohl wirklich markantesten Wirtschaftszweig Indiens.

In diesem Land gibt es Stoffe, die gibt es gar nicht. Beim näheren Durchforsten der Sariläden werde ich förmlich mit der Unzahl an Mustern, Farben und Stoffmaterialien überschüttet. Von intensiv leuchtenden gelben Tüchern über transparente, farbenfrohe Schleier bis hin zu dunklen Stoffen mit Goldverzierung an den Rändern gibt es hier alles. Blumenmuster, Batikdekoration, unifarbende Stoffe, Farbkombinationen aus zwei gut aufeinander abgestimmten Farben, Streifenmuster, karierte, gepunktet, ungleichmässig getönte, chaoshafte, mit Silber- oder Goldfäden versetzte Designertücher in dunklem Grün, knallendem Rot, unschuldigem Weiss, leuchtendem Orange, düsterem Schwarz oder entspanntem Beige (-Puuh! - ) lassen schnell meinen Begeisterung für die eigentlich unbeschreibliche Vielfalt der indischen Stoffe wachsen.

Geschwinde tragen uns unsere Yamies die nächsten Tage nach Norden. Schnell bestimmt wieder der alteingravierte Reiserhythmus unseren Alltag. Ähnlich wie in China gehören die regelmässigen Menschentrauben um uns und die Bikes zur unausweichbaren Normalität. Doch auch wenn in solchen beengenden Momenten die Atmosphäre noch längst nicht so herzlich und wohlwollend wie damals in China ausfällt, verlaufen diese Begegnungen immer friedvoll und kontaktfreudig. Die Mentalität der Inder unterscheidet sich selbstredend zu der anderer Nationen und sollte nicht einem relativen Bewertungsmassstab unterliegen. Trotzdem verführt es uns abermals dazu, Vergleiche zu ziehen, als wir an einem Abend unliebsame Bekanntschaft dreier etwas unangenehmer Zeitgenossen machen müssen.

Ein brachliegendes Feld dient dieses Mal unserer dünnwandigen Behausung als Untergrund. Während wir in der Dunkelheit mit Stirnlampen bewaffnet unser wohlverdientes Abendmahl bereiten, nehmen einige Passanten auf einem vorbeifuhrenden Feldweg Notiz von unserer Anwesenheit. Als wir uns dann bereits auf Tauchkurs in die Tiefschlafphase befinden, weckt mich ein langsam lauter werdendes permanentes Brummen. Scheinwerferlicht huscht sporadisch die Zeltwände entlang. Dann ist mir, als ob jeden Moment ein LKW durch's Vorzelt fahren könnte. Plötzlich wird der Motor abgestellt und unfreundliche, recht barsch klingende Stimmen fordern uns auf, aus dem Zelt zu schlüpfen. Unsere in China so erfolgreich eingesetzte Ignoranz in jenen Momenten scheint hier nicht die Bohne ihrer Wirkung zu entfalten. Lo, der erst jetzt wieder zu den Lebenden zurückkehrt, muss erstmal booten, während ich mich aus dem Zelt quäle. Drei Inder reden auf mich ein und geben ihren Stimmen einen besorgniserregenden Klang. Freundlich und auf jede ihrer Reaktionen achtend, versuche ich sie zu beschwichtigen, doch nutzen mir nur Gesten, um mich nicht verständlich zu machen. Dann kommen mir die Jungs bedrohlich nahe und ehe ich's mich versehe, fange ich eine saftige Ohrfeige.

OK, Jungs, dass reicht! Ohrfeigen verteilen darf nur Papa und im Akkord handelnd will ich dem Erziehungsbevollmächtigten an den Kragen. Während des Handgemenges tadelt mich Lo's Stimme aus dem Zelt und kurz darauf steht er neben mir. Er hat Recht. Es bringt nichts, den Jungs den Arsch zu versohlen, auch wenn sie es verdient hätten und gleichzeitig spüre ich dass meine grösste Besorgnis unserer Ausrüstung gilt. Wir diskutieren hart mit der dreiköpfigen Dorfdelegation, doch auch eine Skizze mit eindeutigen Symbolen lässt sie nicht einlenken. Jede ihrer Gesten signalisiert uns unberechenbare Dummheit. Merkwürdiger Weise lassen sie irgendwann von uns ab und sind im Nu samt Monster LKW wieder verschwunden. Darauf halten wir uns nicht lange bei der Vorrede auf und nutzen die unbestimmt lange Atempause, um unsere 70 Sachen zu packen und abzuhauen.

Durch die kalte Nacht fahren wir stur und ideenlos die Strassen entlang. Überall brennen vor den Häusern Neonlampen und geben der düsteren Szenerie einen sterilen kühlen Charakter. Vereinzelt blenden uns von hinten LKWs und überrollen uns fast beim Überholen. Dann tanzt meine Heck zu allem Überfluss auch noch Schwanensee. Mein Reifen meldet rapiden Druckabfall. So finden wir gezwungener Massen notdürftig an einem anderen Feldweg ein ausreichendes Stück ebener Wiese auf dem wir diesmal zum Glück ungestört den Rest der angebrochenen Nacht verbringen.

Am darauffolgenden Morgen erzählen wir uns gegenseitig wieder mal den selben Alptraum, doch ein Blick auf meinen Hinterreifen bedeutet uns leidigen Beweis für die kurz zuvor durchlebten Stunden und gleichzeitig die unschöne Tatsache, dass wir heute noch Hausaufgaben machen müssen. Da die Inder nun den Punktevorrat unserer Minuskiste vorzeitig aufgebraucht haben, schlagen sich aber auch die restlichen Tage in Indien in Harmonie. Wir bewundern Stoffe, schiessen Fotos, suchen nach dem Einkauf unsere Menschentrauben - äh- Motorräder meine ich, fahren 3 Kilometer weiter und geniessen alles in allem diese uns trotzdem faszinierende Welt.

Indien lebt durch seine Sitten und Bräuche. Viele Gegebenheiten dieserorts sind Resultat einer turbulenten indischen Vergangenheit. Man kann dieses Land lieben, begeistert sein oder sich von jeglichem distanzieren. Was uns betrifft, schweben wir wohl irgendwo in der Mitte. Auf jeden Fall haben wir beschlossen weiterzureisen.

Euer Lo & Mo

 

Indien III / Pakistan I
Nagpur - Lahore, 12. - 22. Februar, km 33000

Jedes von uns bisher bereiste Land fügte unserer Reise einen ganz eigenen Farbtupfer hinzu. Nun ziert ein weiterer, besonders fetter und besonders bunter Farbklecks die Farbpalette unserer Erinnerungen. Vielleicht zeichnen die märchenhaft bunten indischen Stoffe, vielleicht die vielen unterschiedlichen Religionen, vielleicht aber auch die extremen Unterschiede in den Sitten und Bräuchen im Vergleich zu unseren Landen dafür verantwortlich. Jedenfalls werden wir hiesige Tage als einen wertvollen Schatz in unseren Erfahrungen verankern.

Unsere Route führt ungefähr durch das geographische Herz Indiens von Chennai über Bangalore, Hyderabad, Nagpur, hart zur westlichen Seite an New Delhi vorbei. Die indisch-pakistanische Grenze fest im Fadenkreuz, erreichen wir am 20. Februar den Grenzort Fazilka. Nur ein schmaler Asphaltstreifen schlängelt sich an Feldern vorbei, bis wir vor einem Schlagbaum stehen. Die Grenzer dahinter, den Karabiner im Anschlag gedeuten uns umzukehren. Erst ihr Chef ist des Englischen mächtig und verrät uns den einzig für Ausländer passierbaren 200 km entfernten Grenzpunkt. Hier wäre ein Grenzübertritt nicht möglich.

Da wir keinen einzigen Rupee mehr in der Tasche haben, nur noch wenige Kilometer im Tank und unserer Uhr 2cm vor Sonnenuntergang anzeigt, überfällt uns regelrecht Begeisterung über die Vielzahl der nun zu wählenden Möglichkeiten. In der einsetzenden Dämmerung schlagen wir uns in einen unbefahrenen Feldweg und errichten gut sichtgeschützt hinter einem hohen Wall unser Zelt. Niemand hat unser Gebaren registriert.

Die beleuchtete Grenzlinie zieht sich wie ein heller Strich tief in die dunkle Nacht hinein. Hunde bellen. Um nicht unnötig auf uns aufmerksam zu machen, vermeiden wir jedes Geräusch. Auch unseren äusserst mitteilungsbedürftigen Kocher rühren wir heute lieber nicht an. Die Inder und ihrer pakistanischen Nachbarn haben schon seit geraumer Zeit Kommunikationsschwierigkeiten, um die ganze Problematik mal etwas zu verharmlosen. Da sitzen wir ja heute direkt im Fettnäpfchen. Glücklicher Weise entdeckt uns niemand. Auch die Nacht verläuft ruhig. Nur als wir beim Aufbrechen vom Feldweg auf das Grenzsträsschen biegen, stoppt uns ein Militärjeep.

Die Jungs geben sich freundlich, aber bestimmt. Wir sollen ihnen doch folgen. Widerwillig tun wir das auch, aber zeigen deutlich unsere Missgunst. Im Chefbüro erklärt uns dann ein Wichtiger die Sensibilität der zugrundeliegenden Problematik. Erst jezt schaffen wir es unserem Gegenüber klarzumachen, dass wir nicht von Pakistan hierher herübergekommen sind, sondern von Indien nach Pakistan wollten. Sofort entspannt sich die Situation. Dann schreibt sich unser Militärinder noch für ihn lebenswichtige Zahlen aus unseren Dokumenten und zwingt uns noch zu einem versöhnenden Teechen ein. Die ganze Zeit sitzen wir schon wie auf glühenden Kohlen, denn die nun noch zu bewältigenden 200 km bedeuten uns einen weiteren Kampftag durch den indischen Verkehr. Nachdem wir uns wieder zahlungskräftig erklärt haben und im Strassenchaos von Fazilka der heute etwas mehr als sonst überstehende Arm meiner oberüberinternationalen Weltenbummlergitarre noch einen dahinträumenden Mofainder niedergestreckt hat, zählen die nun noch verbleibenden Kilometer gewschwind rückwärts. Natürlich verspäten wir uns nur um 30 Minuten und nehmen so den Grenzübertritt Tags darauf in Angriff.

Beiderseits der Grenzanlagen charakterisiert langweilende Gemütlichkeit das sporadische Abfertigen der Grenzgänger. Zu indischer Seite werden wir zum Tee eingeladen, während man auf pakistanischer Seite, den Schreibtisch auf den sonnigen Vorplatz positioniert hat und im regen Smalltalk mit uns, ganz vergisst, die Pässe abzustempeln. Auch die Zöllner setzen gern ein munteres Schwätzchen auf und so merken wir gar nicht, dass wir fast 8 Stunden für nur einen Kilometer Grenzüberquerung benötigen. In der Abendsonne empfangen uns die ersten wie gewohnt zu unübersichtlich, aber äusserst geschäfftig im Treiben, anmutenden Strassenzüge der pakistanischen Stadt Lahore.

Metallverarbeitende Werkstätten, KFZ-Reparaturgaragen, kleine Verkaufsstände, dazwischen Schuster, Obstverkäuver, Garküchen, Kioske mit Lebensmittelprodukten und vieles mehr säumen den Strassenrand. Dazwischen parken ohne jegliche erkennbare Ordnung unterschiedlichste Vehicle zur Fortbewegung. Eselskarren, Ochsenfuhrwerke, Mofas, Fahrräder, einige etwas in die Jahre kommende Limousinen, mobile Verkaufsanhänger, alles steht kreuz und quer neben der Strasse und auf der Strasse und wir befinden uns mittendrin. Nur nicht anhalten, sonst füllt sich der 5 Meter weitreichende Fahrraum vor unseren Krads sofort wieder mit Fussvolk.

Nach der Stadt empfängt uns bereits die Dunkelheit. Ein in einer Sackgasse endender Feldweg dient diesmal als Zeltuntergrund. Als wir am nächsten Tag aufbrechen wollen, besucht uns der hiesige Grundstück besitzende Bauer. Herzlich begeistert darüber, dass wir uns ausgerechnet auf seinem Boden niederlassen, lädt er uns zum Tee ein. Unschlüssig in unserer Meinungsfindung lehnen wir trotzdem ab, denn wir wollen lieber weiter fahren, doch als wir im nächsten Dorf an einer Werkstatt Luft pumpen, erscheint der nächste uns zu wohlwollend gesonnene Pakistani. Seine Art malt zu herzlich, humorvoll und bestimmt.

So sitzen wir wenig später in einem Telefonladen und werden mit Keksen, Apfelsinen und starkt gesüsstem und mit Milch versetztem Tee überhäuft. Die spartanische Einrichtung des wohl 10 Quadratmeter messenden Zimmerchens ist mit einem Tischchen, auf dem nichts weiter als ein grosses, schwarzes Telefon und unser Teeservice steht, schnell beschrieben. Einige Stühle ergänzen noch die Möbellandschaft. Den Rest des Raumes füllen neugierig umeinander stehende Pakistani. Mein Blick mustert ihre Kleidung. Ohne Ausnahme trägt jeder ein langes, langes Oberhemd, welches aus robustem Stoff gefertigt bis zu den Kniekehlen reicht und eine ebenfarbige lange, weite Hose. Die kleinen niedlichen Füsse der kleinen niedlichen Pakistani stecken alle samt in lässig geschnallten Sandalen. Besonders angenehm zu schauen ist die durchweg in unifarbenem Pastell gehaltene Kleidung. Bräunlich, gräulich, bläulich und manchmal auch fast ins grünliche übergehend beweist die pakistanische Herrenmode eine ganz eigenen Eleganz und Lässigkeit.

Nachdem wir uns leicht und locker mit unseren netten Gastgebern unterhalten haben, drückt uns der Schuh. Ganz Pakistan liegt uns zu Füssen und jeder Schritt bzw. jede Umdrehung unserer Räder bringt uns neue, faszinierende Eindrücke dieses uns eigentliche bisher in unserem Allgemeinwissen zu sehr unterbelichteten asiatischen Landes.

Euer Lo & Mo

 

Pakistan II
Lahore - Multan, 22. - 25. Februar, km 33400

Ich schwöre, ich sage die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, so wahr mir Gott helfe!

Pakistan ist doch gefährlich - klingt es noch in meinen Ohren. Welches Pakistan? Gibt es denn zwei auf diesem Erdball? Klar, zugegebener Massen sind mir nun auch zwei Länder dieses Namens bekannt. Eines, welches ich aus den Medien beschrieben höre, lese bzw. sehe und mit dem Finger auf dem Globus suche und das andere, welches nun mehr zu unserem 10. Reiseland geworden ist. Sicher, wir reisen hier nicht durch Österreich oder Dänemark und vielleicht unterscheidet sich auch etwas unsere Art zu Reisen zu der anderer. Auf jeden Fall muss ich meine Meinung über diesen Erdenstaat gründlich revidieren.

Des Ausgleiches wegen wollen wir aber doch unseren kleinen Pakistani einen noch kleineren Minuspunkt verabreichen. Da die Felder so weit man schauen kann zumindestens im östlichen Pakistan bis Oberkante Unterlippe angebaut sind mit Vegetarischem und die Feldbegrenzungen akorat, akribisch ohne Auslass aus dicken fetten Erdwällen errichtet stehen, suchen wir oft hilflos nach einem sichtgeschützten romantischen Flecken Boden, welcher uns Haus und Heim für die wenigen Stunden der Dunkelheit geben möge. Eines Abends suchen wir fast wie blöde jeden erdenklichen Seitenweg zur Hauptstrasse ab und stehen bald der Erschöpfung nahe abseits eines Weges um zu verschnaufen, als ein Toniwagen der pakistanischen Ordnungshüter neben uns hält.

"Jungs, ihr habt uns gerade noch gefehlt!!!" In gebrochenem Englisch versichern sie sich erstmal unserer absoluten Harmlosigkeit, dann lesen sie wohl unseren Hoffnungsgedanken, denn sie bieten uns den Boden um ihre Polizeistation zum Zelten an. "OK, geht in Ordnung." Und wenig später campen wir, von dicken hohen Mauern umgeben, auf dem wohl sichersten Zeltplatz unserer gesamten bisherigen Reise. Die Jungs sind unsagbar gastfreundlich, aber auch ebenso neugierig, doch wir stillen ihre Wissbegierde gerne. Noch lang sitzen wir mit ihnen zwischen Polizeistation und Zelt und jeder erzählt von seiner Welt. Dann kriegen wir für die Nachstunden sogar noch einen persönlichen Bodyguard zur Seite gestellt, auf dass wir unbesorgt in's Reich der Träume entfliehen können.

Am folgenden Morgen sitzen unentwegt so an die 10 Polizisten um uns herum, die natürlich unterhalten werden wollen. Auf dringliches Bitten gebe ich ihnen noch eine musikalische Extraeinlage, dann satteln wir für die Weiterfahrt. Ein Polizeijeep begleitet uns noch bis zur Stadtbezirksgrenze. Dankend heben wir noch einmal die Hand zum Gruss und beschleunigen. Doch wenige Augenblicke später stoppt uns ein uns unbekanntes Polizeifahrzeug. Diese uns nur allzuvertraute Aktion basiert ausnahmslos nur auf ureigendstem Interesse des Fahrzeugführers an Mensch und Maschine. Etwas ungehalten erkundige ich mich nach dem Grund dieses Zwangsstopps. Ein besonders angagierter Mitarbeiter faselt etwas von gefährlich und Eskorte. Wir lassen ihn einfach stehen und fahren weiter, doch er scheint ein besonders hartnäckiger Zeitgenosse. Unbedingt will er uns in die nächste Stadt Multan eskortieren. Also wenn's dann sein muss...

Wir geben nach und fahren hinter dem Jeep her. Mit kaum erkennbarem Blaulicht und wild umherfuchtelnden Armen aus den Seitenfenstern stiftet unser Überangagiertert absolute Verwirrung auf dem Asphalt. Dann baut der fast selber noch einen Unfall, als er es nicht schafft, einen LKW mit Anhänger zu überholen und eine ebensolches Monster im Gegenverkehr auf ihn zurast. Sofort sehe ich Szenen der "Police-Academy" Filmreihe vor mir, aber das hier ist tausendmal professioneller gedreht. Als wir die Stadt erreichen, geraten wir in noch gefährlichere Verkehrssituationen. Der Respekt vor nicht sichtbarem Blaulicht und wilden Polizistengesten geht inflativ gegen Null. Ein LKW-Fahrer sieht sich erst zum Halten gezwungen, als der Sozi des Polizeijeeps ihm den Gewehrlauf schräg hoch in die Kanzel des Trucks richtet. Ein Pizzalieferant auf seinem Mofa biegt vor Schreck ungewollt in eine Nebenstrasse ab, als er unerwartet mit dem selben überzeugenden Argument konfrontiert wird. Uns bleibt nichts anderes übrig, als all diese Situationen mit Humor zu nehmen. Ein Bauer auf seinem Ochsenkarren regt sich darüber auf, dass er stehenbleiben soll und wir ungestraft hinter dem Polizeiwagen hertuckern können.

Unsere zu amüsant zu beobachtende Eskorte hält vor einer Bank, wo wir mal wieder ans Eingemachte gehen müssen. Während Lo in der Bank um Bares kämpft, starte ich zu einer klitze kleinen Shoppingtour, denn unsere Yamies bewachen drei pflichtbewusste Scheisseisenfanatiker. Nach einigen Metern wundere ich mich. Die Leute schauen etwas merkwürdig, ja fast ehrfürchtig bzw. ängstlich. Als ich mich umdrehe glaube ich zu träumen. Ich bin doch nicht Whitney Houston. Ein etwas zu dürr und zu lang geratener Polizist unserer Comedy-Serie steht dicht hinter mir mit seinem Karabiner vor der Brust. Jungs, John Wayne ist schon lange tot! Tut mir ja auch Leid, aber das Leben ist hart... Undiplomatisch gebe ich unserem selbsternannten Volkshelden zu verstehen, dass er sich trollen soll, aber Papa hat gesagt, dass er nicht abgehen soll. Erst ein geschickter rechts-links Schlenker durch die überquillenden Massen zaubert ihm ein etwas dumm aussehenden Ausdruck in's Gesicht.

Lo kommt irgendwann aus der Bank, natürlich ohne Kohle. Spätestens hier nehmen wir uns fest vor, nach Beendigung der Reise ein ernstes Wörtchen mit unseren Bankberatern zu reden. Travellerchecks sind ein derart sicheres Bargeldbeschaffungsmittel, dass selbst wir keines bekommen. Hart diskutieren wir mit unserem Polizisten Hein Blöd und fordern ihn auf, uns in Ruhe zu lassen. Die einzigste Gefahr, die hier existieren würde, gehe von ihm selber aus. Wir folgen ihm noch zu einer anderen Bank, doch danach haben wir endgültig die Nase voll. Ohne Diskussion steigen wir auf unsere Moppeds und sind im Handumdrehen im Gassen- und Verkehrsdschungel von Multan verschwunden. Hein Blöd hätte so oder so keine Chance uns zu folgen. Mit Leichtigkeit würden wir ihn im diesem Chaos abhängen.

Heute war Kinotag in Pakistan und wie gewohnt war der Kinosall übervoll. Nur mit dem Unterschied, dass heute alle Zuschauer im Film mitspielen durften.

Euer Lo & Mo

 

Pakistan III
Multan - Taftan (Grenze Iran), 25. Februar - 2. März, km 34600

Wenn man so lange in fremden Ländern unterwegs ist, bleibt es nicht aus, dass man die ein oder andere Macke entwickelt. Auf keinen Fall würde ich mittlerweile unser Verhalten in bestimmten Situationen als noch normal bezeichnen. Seit den Temperaturstürzen in China können wir keine Kälte mehr ab. Durch die Reiseerfahrungen in China und Indien fürchten wir uns nun vor jeder Menschenansammlung, welche mehr als 4 Köpfe zählt. Wenn wir gelegentlich in Grenznähe zelten, befürchten wir, es könnte womöglich ein Panzer durchs Zelt fahren und aufgrund unserer Wüstenerlebnisse in der Gobi nehmen wir stets mehr Wasser mit uns, als eigentlich nötig wäre. Seit den letzten Begebenheiten in Multan vermuten wir bei jedem Polizisten, der uns anspricht, er wolle uns eskortieren, doch erstaunlicher Weise gelingt es uns, die weitere Reise durch Pakistan frei von Geleitschutz zu geniessen.

Im südlichen Teil des Landes knickt unsere Route nach Westen ab. Schnell schwinden die grünen prall bestellten Felder und unfruchtbarer, oft steiniger Boden lässt grösstenteils jede Spur von landwirtschaftlichen Bemühungen vermissen. Bald umgibt uns nur noch Wüste. Anders als das Panorama der Gobi, zeigt die pakistanische Wüste ihren ganz eigenen Charakter. Wüste fasziniert, das war schon immer so. Wie ein übermächtiger Zauberer zieht sie auch mich ein jedes Mal in ihren Bann. Von Zeit zu Zeit formieren sich immer wieder unterschiedliche Landschaftsszenarien vor meinem Auge. Flache Ebene morpht langsam zu grösseren Hügeln, welche sich dann Stück für Stück in märchenhafte goldgelb schimmernde Sanddünen verwandeln. In der Ferne manifestieren sich ausdauerend langatmige schwarze Felsen. Stark zerklüftet und mit scharfen Kanten erinnern sie etwas an Vulkanlandschaften. Bergketten in hellbraunen Kleid begleiten uns of stundenlang in einigem Abstand zur Piste. Wie mit Lineal gezogen und auf Hochglanz poliert, führt das in Qualität überzeugende Asphaltband stur nach Westen.

Zwei handbreit überm Horizont beweist die Sonne immer noch ausreichend Kraft, um uns die für die Wüste so typische Hitze spüren zu lassen. In der Ferne flimmert uns ein LKW entgegen. Ich blinzle in seine Richtung und fixziere ihn mit den Augen, gibt es doch momentan nichts um uns herum, an dem man sich optisch gesehen festhalten könnte. Nichts als ebenste Ebene und nur geradeausgehende Fahrbahn betont die ohnehin schon mir zutiefst gegenwärtige Monotonie der Wüste. Die trockene Hitze drückt. Widerstandslos lasse ich mich zurückfallen und gebe mich dem Takt meiner Yami hin. Gedichtzeilen gehen mit durch den Kopf. Ab uns zu lese ich eine Zeile auf meinem Lernblatt, welches stets auf mein Bag geschnallt langweilige Passagen überbrücken helfen soll. Ich verfalle in Trägheit und werde Opfer der zu sehr auf mich einwirkenden Monotonie. Schon zerfliessen meine Gedanken und Abstraktion hebt mich in unbeschreibbare Sphären. Wo bin ich? Hält mich ein Traum gefangen? Die Unendlichkeit der Wüste suggeriert mir, dass es wohl nichts anderes mehr in meinem Bewusstsein existiert, als diese Strasse und die sie umgebende Wüste. Wie weit sind doch in diesem Augenblick meine Erinnerungen entfernt. Waren sie wirklich einmal Realität? Bedeutet alles in meinem Sein nicht nur Illusion? Tief atme ich die heisse Wüstenluft. Immer weiter geht es, doch nur mein Kilometerzähler verrät mir, dass wir uns stetig weiter bewegen. Der Wind pfeift über die in nichts dem Widerstand entgegenbringende Fläche. Sand wirbelt auf und weht mir in die Augen.

Plötzlich saust von hinten kommend ein Monstertruck an mir vorbei. Der dadurch entstehende enorme Luftsog reisst mich fast aus dem Sattel und beendet jäh jegliches abstraktes Sphärengedusel. Willkommen in der anfassbaren Wirklichkeit. Sofort fällt mir wieder ein: Ich heisse Rayko Moritz und muss meinen Motorradlenker stets mit sicherem Griff umklammert halten. Hossa! Diesen Brummifahrern sitzt doch unentwegt der Schalk im Nacken.

Wenige Tage später ereichen wir den Grenzort Taftan, wo wir mitten im Häuserwirrwarr des Wüstenkaffs Zoll- und Abfertigungsgebäude selber suchen müssen. Es ist schon spät, als wir die Grenzlinie passieren und den iranischen Grenzbeamten fällt plötzlich ein, dass sie ja arbeitend tärtig werden müssten, um uns abzufertigen. Dazu is es aber schon verdammt spät. Der Feierabend ruft und die Ignoranz der Jungs lässt uns mittellos auf dem Grenzhof zurück. Wir könnten das Grenzhotel in Anspruch nehmen, doch wir bestehen auf eine Erlaubnis, unser schon in der Mongolei grenzerprobtes Zelt aufschlagen zu dürfen. Kein Problem!

Tags darauf begleitet uns nach Erledigen der Formalitäten, einer der Grenzer noch in die nahegelegene Stadt, wo er seinen Chef aus dem Bett klingelt, welcher uns einzig und allein signierberechtigt seinen Unterschriftenkringel unter die Stempel kritzelt. Dann fährt unser Grenzbeschäftigter mit uns zur einzigen Tankstelle des Ortes und erkundigt sich bei uns, ob wir auch genug Benzin vorrätig hätten. Stimmt! Heute ist Sonntag und Erfindungen wie Geldautomaten kennt man hier noch nicht. "Nein! Benzin und Geld hätten wir momentan noch keines." Obwohl wir unserem Gönner dreimal versichern, kein Bares in den Taschen zu haben, lässt er unsere Tanks randfüllen, bezahlt mit Karte uns ist kurz darauf verschwunden. Lo kuckt genauso blöd wie ich. Doch schnell besinnen wir uns eines Besseren. Unser Proviant reicht noch mehrere Tage und die Tanks wurden gerade zum Bersten mit Kraftstoff versehen und ein neues Land wartet darauf, von uns entdeckt zu werden.

So dauert es nicht lange und ausser dem grauen Asphaltband und unseren Yamies umgibt uns nur einsame Wüste, nur gehört sie diesmal zum Territorium des Irans, welcher uns bereits herzlich willkommen geheissen hat.

Euer Lo & Mo

 

Iran I
Taftan - Theran, 2. - 10. März, km 36400

Welche der Hauptstädte Theran und Bagdad gehört denn eigentlich nun zum Iran bzw. zum Irak?

Früher hätte ich bei dieser Fettnäpfchenfrage im Erdkundeunterricht sicher Punkteabzug bekommen. Doch mit unserer Reise stelle ich fest, dass sich zumindest bezüglich der Regionen durch welche wir reisen meine Geographiekenntnisse anfangen sich zu festigen und zu erweitern. Auch ermöglicht mir das Besuchen der einzelnen Länder eine exakte Zuordnung bestimmter Landschaftsszenerien zu verschiedenen Staaten. Nie hätte ich gewusst, dass z.B. im Iran grosse Gebiete wüstenhaftes Aussehen tragen, wenn nicht sogar als Wüste deklariert stehen. Der Süden des Landes begeistert uns durch seine weiten Ebenen, in denen vereinzelte Felsformationen, zusammenhängende Bergketten oder auch steinige Hügellandschaft für ausreichende Abwechslung sorgen. Vielleicht mag es auch an der Jahreszeit liegen, dass die stets karge öde Vegetation sich nirgendwo durchsetzen kann. Viel mehr dominiert der hellbraune und felsfarbene, leicht beige Ton des Sandes und des Gesteins. Egal wann und wo wir uns entlang bewegen, wirkt dieses Pastellpanorama unendlich entspannend auf Seele und Geist.

Das Verhalten der Iraner bettet sich widerstandslos in seine Umgebung. Ausgesprochen freundlich lässst sich jederzeit jeglicher Ansatz von Missgunst vermissen. Wie schon so oft tappen wir an einem Tag wieder mal in eine Feiertagsfalle. Alle Geschäfte in der Stadt sind geschlossen. Orientierungslos suchen wir nach einem Internetcafe. "Intellektuell?" "Nein, Inernetcafe!" "Internat?" "Nein, Cafe, Internet!" "Aah! Cafe!" ... Viele dieser Antworten haben wir bisher zu hören bekommen, doch diesmal lässt unser Befragter junger Iraner nicht locker. Das Wort Computer kennt er besser und geleitet uns quer durch die Stadt von einem zum anderen Internet- oder besser Computer-Cafe. Als wir auch beim letzten vor verschlossenen Türen stehen, kommen wir mit unserem eifrigen Helfer in's Gespräch. Ali heisst er und wohnt und studiert hier in Kerman. Recht wissbegierig fragt er uns nach diesem und jenem. Dann holt er sein Handy aus der Tache, ruft seinen Bruder an und hält Lo das Gerät ans Ohr. So unterhält sich Lo eine Weile mit dem recht gut Englisch sprechenden, aber ihm völlig unbekannten Bruder Alis. Zum Abschied schenkt uns unser neuer Freund noch eine riesen grosse Tüte iranischer Pistazien. Wiedermal können wir nur über so viel herzliche Gastfreundschaft staunen.

Unser Weg führt weiter in Richtung Theran. Tag für Tag sitzen wir nun seit der Abfahrt in Chennai im Sattel. Schon in Kuala Lumpur stand unser Entschluss fest. Beiden ist es uns wichtiger, uns an die geplante Zeitspanne zu halten, als die anfangs geplante Reiseroute originalgetreu abzuarbeiten. So war es in Malaysia schon abzusehen, dass die Route über Nordafrika bis zum 1. Mai 2004 nie und nimmer zu schaffen wäre. Varianten wie von Tunesien nach Sizilien oder von Kairo nach Sizilien beschäftigten uns lange Zeit, doch aufgrund problematischer Einreisebestimmungen in diversen Staaten und nicht vorhandener Fährverbindungen über manche Blaupassagen unserer Globen, formierte sich wir von selbst eine einzige Route in's geliebte Heimatland heraus. Die Strecke über Theran in die Türkei und von da aus über Griechenland, Italien und Österreich nach Deutschland wird uns hoffentlich pünktlich zum internationalen Tag der Arbeit in der Wildbahn erscheinen lassen, um noch an einer eventuellen verspäteten abendlichen Demonstration nach guter alter Tradition teilnehmen zu können. Doch noch zieht uns jeder Wüstentag im Südiran magisch in seinen Bann.

Ein besonders eindrucksvolles Erlebnis in diesen Tagen wird sich wohl tief in unsere Erinnerung eingravieren. Als wir eines Morgens nach einigen Kilometern die ersten Ausläufer einer Stadt erreichen, stehen mehrere riesige Wohnkomplexe entlang der Strasse teilweise völlig zerstört. Was ist denn das? Jungs, warum räumt ihr euren Bauschutt nicht ordnungsgemäß beseite? Andere Häuserreihen in einigem Abstand sehen verlassen aus. Risse in den Wänden, vereinzelt eingestürzte Dächer und Brandspuren erwecken den Eindruck einer Geisterstadt in mir. Die Leute hier scheinen besonders gleichgültig mit der Gestaltung ihrer Umgebung umzugehen... Doch als wir uns langsam dem Stadtzentrum nähern, nimmt die Zerstörung keine Ende. Im Gegenteil. Es gibt kaum ein Haus, welches nicht in Trümmern liegt, keine Risse in den Wänden aufweist oder einfach windschief aneinander steht. Erst gehen uns Kriegsszenarien durch den Kopf, aber in diesem Fall fehlen jegliche Einschüsse. Na klar!... und plötzlich fällt es uns wie Schuppen aus den nicht vorhandenen Haaren: Hier muss vor kurer Zeit unwiderruflich ein Erdbeben stattgefunden haben.

Fassungslosigkeit bemächtigt sich unser. Erst jetzt schauen wir genauer hin. Autos mit übergrossen Beulen oder vollends in Unkenntlichkeit gesetzt, zieren den Strassenrand. Überall ragen stark verbogenen Stahlgerüste gen Himmel, die wohl im Mauerbett eingearbeitet eben genau dieses Szenario verhindern sollten. In manchen noch stehenden Häusern fehlen mehrere Wände und geben den Blick in die Inneneinrichtung einer Wohnung frei. Mauersteine, ganze Trümmerhaufen, Schutt und Gerümpel versperren den Bürgersteig und Straßenränder. Aus einem Steinhaufen schaut noch ein Arm und der Kopf eines Teddybären hervor. Auf freien Fussgängerpassagen und auf sämtlichen im Iran stets sehr großzügig angelegten Kreisverkehren füllen Zelte in unterschiedlichster Größe jeden kleinsten Raum aus. Wäsche hängt auf Leinen zwischen zwei Alleebäumen gespannt. Der Alltag ist hier schon seit geraumer Zeit wieder eingezogen. Manche Straßenzüge sind schon wieder vom Schutt befreit, in manchen macht man sich mittels schwerem Baugerät gerade daran, das Chaos wieder in eine provisorische Ordnung zu zwingen. Die Leute wirken ruhig und gelassen. Kindergelächter schallt über die Strasse. Mütter mit Kindern lassen sich von uns fotografieren und lächeln sogar dazu.

Vor zwei Monaten hat hier der Boden gezittert, so dass viele nur noch ein Zelt und etwas Hab und Gut retten konnten. Vor den Stadttoren haben Hilfsorgnisationen wir Caritas und die UNO riesige Zeltlager errichtet. In diesem Moment freuen wir uns darüber, tatsächlich sehen zu können, wie diese Vereinigungen an Ort und Stelle effektiv und professionell dringend benötigte Hilfe gewährleisten. Eine gute Erfahrung für mich, um diesen Hilfswerken mehr Vertrauen schenken zu können. Der Besuch der Stadt Bam am 4.3.2004 manifestiert sich in mir als Moment tiefster Ergriffenheit. Noch nie habe ich solches Maß an Zerstörung und Machtlosigkeit in meinem Leben wahrnehmen können. Die prägnanten Bilder noch lange vor Augen, setzen wir unsere Reise fort.

Nachdem wir Theran passiert haben, stehen wir vor einer nächsten Erfahrung, welche für uns ebenso prägenden Charakter trägt. Doch natürlich wollen wir Euch nicht die Vorfreude auf den folgenden Reisebericht schmälern und schon gar nicht mehr erzählen, als unbedingt nötig.

Euer Lo & Mo

 

Iran II
Theran - Bitlis, 10. - 17. März, km 37800

Wüstenklima ist wirklich prima!

Schweren Herzens sehnen wir die letzten Wochen zurück, wo wir uns abgesehen von den Momenten im Sattel bei jeder Rast und besonders vormittags vor Fahrtantritt fett im heißen Wüstenwind die Eier schaukeln konnten. Fast regungslos ließen wir uns von den noch angenehm kribbelnden Sonnenstrahlen bruzzeln. Doch bereits in Theran mussten wir die Pullover herauskramen und jetzt, wo uns die iranisch-türkische Bergwelt gefangen hält, wärmen nach langer Zeit mal wieder Hosen- und Jackeninnenfutter zusätzlich. Schon blinken die ersten weißen, nichts Gutes verheißenden Stellen auf den Bergkämmen weit vor uns. Unabänderlich führt uns der Asphalt höher und höher.

Die letzte Nacht mussten wir uns schon unweigerlich eingestehen, dass seit unserem Tropenaufenthalt und einer Waschmaschinenwäsche unsere Schlafsäcke jegliche Wärmeisolation vermissen lassen. Ungnädige Begeisterung überkommt uns, als wir die Schneegrenze erreichen. Die Abendsonne erdet schon bald ihr Rund und die Aussicht auf wärmere Temperaturen haben wir eben überfahren. Dann umgibt uns schnell eine geschlossenen Schneedecke, welche uns Schlimmstes erahnen lässt. Ja, Ja - heute dürfen wir mal wieder Held spielen.

Nach einer Rutschpartie durch Schnee und Eis steht bald ein Zelt auf blendend weißem Untergrund. Nur die hellbraune Tarnfarbe des Zeltes, die sich perfekt der iranischen Wüstenlandschaft anpasste, wirkt nun ein bisschen zu auffällig. Mit dumpfem Gefühl in den Gliedmaßen bereiten wir unser Kochritual vor. Die warme Mahlzeit entfacht ein Kraftwerk in uns. Schnell in unsere "Expeditionsschlafsäcke", auf dass die Wärme nicht verloren geht. Doch am nächsten Morgen suche ich sie vergebens im ganzen Schlauch meines Schlafsacks und anschließend im Zelt. Na wo ist sie denn hin? Keine Wärme, nirgendwo! Da ist es auch egal, wo wir den Morgen verbringen, ob vor oder im Zelt.

Dann widmen wir uns dem nächsten Problem. Wie bekommen wir das gefrorene Wasser wieder aus den Flaschen? Eine der Flaschen durfte heut Nacht meinen Schlafsack mit mir teilen, so reicht der flüssige Vorrat wenigstens für die Lebensgeister weckenden Kaffe und Tee.

Nachdem wir wieder auf die Transitstrecke gerutscht sind, begrüßen uns die ersten Schneeflocken, die sich bald in einem märchenhaften Schneegestöber versammeln. Noch gibt uns der freie Asphalt genügend Grip, doch dann tasten wir uns über festgefahrene Schneedecken. Zum Glück geht es wieder talwärts und Niederschlag und Bobbahn nehmen sogleich ein Ende. Hier und da können wir uns in den iranischen Teestuben ein wenig aufwärmen. Dann passieren wir endlich die iranisch-türkische Grenze. In Dogobayazit tauschen wir vorerst Zeltwand gegen Hotelmauer ein, um uns vom "Held sein" zu erholen. Wir nutzen den ersten freien Tag seit unserem Chennai-Disaster, um uns an die neue Umgebung zu gewöhnen.

In den übersichtlichen Lebensmittelläden quillen die Regale vor Warenangebot fast über. Alles blinkt wie in einem Intershop aus alten Zeiten. Käse, Salami, Nutella in den verschiedensten Kopien (namentlich: "Bisella", "Sorella" oder "Nusella"), Schokolade, Büchsenwurst und mehrere Kaffeesorten suggerieren uns schlaraffenlandähnliche Bilder. Ein stets kontrollierender Blick auf die Preisschilder bereitet uns aber unmittelbar ein unkompliziertes "Come back to reality". Trotz mehrmaligem Hin- und Herrechnen stellen wir fest, dass die Preislandschaft ein höheres Niveau aufweist, als zu deutschen Landen. Irgendwie müssen die Türken ihre Vorbereitung zum erstrebten EU-Beitritt falsch verstanden haben. Der Schock sitzt tief. Wo der iranische Bezinliter noch sage und schreibe 6 Cent kostet, notiert selbige Kraftstoffmenge hier bei 1,20 Euro. So werden wir wohl wegen unvorhergesehener Unzahlungsfähigkeit türkisch lernen und uns an der Ägäis niederlassen müssen. Doch wahrscheinlich kommen wir noch nicht einmal so weit.

Zielstrebig richten wir unsere Speichen in Richtung immerwarme Mittelmeerküste. Nur hält die türkische Bergwelt noch einen Leckerbissen für uns bereit. Stur schlängelt sich die Piste auf eine nächste Schneewand zu. Wie Michelinmännchen bewegungsunfähig eingemummelt, können wir diesmal die unendliche Schönheit der Schneewelt genießen. Als wir den Peak eines weiteren Passes erreichen, eröffnet sich vor uns ein unsagbar faszinierendes Panorama. Auf einem Hochplateau reihen sich mehrere Hügel und Bergketten aneinander. Alles liegt unter einer dichten, dicken Schneedecke. Nur das dünne Band der Passstrasse schneidet eine schmale graue Linie in die strahlend weiß leuchtende Landschaft. Begeistert steigen wir ab und toben durch den Schnee.

Als ich zur Weiterfahrt wieder auf mein Mofa steigen will, passe ich plötzlich nicht mehr auf den Motorradsattel. Ein Schneemann hat sich heimlich als blinder Passagier darauf breitgemacht. Er meint, wir hätten doch beide Platz auf dem Sitz und er wolle einmal in seinem doch recht kurzen Leben Motorradfahren. Leider muss ich ihn blutenden Herzens am Straßenrand zurücklassen. Nun tief verschluckt von dieser herrlichen Welt aus Eis und Schnee staunen wir von Zeit zu Zeit über sich uns neu formierendes Gebirgsweiß. In Tälern schlummern verträumte türkische Dörfer. Die stets leicht zu erkennende Spitze der Minaretttürmchen glitzern in der strahlenden Sonne. Hier sagen sich noch Fuchs und Schneehase gute Nacht. Alles scheint dieserorts noch in einträglicher Harmonie. Wie schon so viele Regionen in Asien zeigt sich uns die Osttürkei als eine reizvolle Perle der Natur. Doch der europaentwöhnte Motorradreisende favorisiert deutlich wärmere Landstriche. Wie steht's da nun mit den Türken? Haben die auch Warm? Kein Izgür verrät uns den folgenden Wetterbericht. So bleibt uns nur die Hoffung auf wärmere Tage an der nahen Ägäis.

Euer Lo & Mo

 

Türkei
Bitlis - Erdine (Grenze Griechenland), 17. - 31. März, km 40000

Vielleicht schreiben wir nach unserer Irrfahrt über die Kontinente ein Buch über die verschiedenen Klimaregionen der Erde, z.B. die Kälte wäre ein interessantes Betrachtungsthema.

In China gibt es im Oktober die äußerst eklig nasskalte Kälte mit überraschenden Temperaturstürzen. In der Mongolei existiert im September die typische "Ach ich will gar nicht aus dem Schlafsack"-Kälte, die aber recht bald zu fortgeschrittener Tageszeit verschwindet. In der Türkei kommen dann noch die "Schneesturm und Rutschpartie"-Kälte hinzu, welche man noch mit der "Wie kriegt man das gefrorene Wasser aus den Flaschen"- Kälte ergänzen könnte. Doch am liebsten ist uns so und so die "Ich weiß gar nicht mehr wie sich Kälte anfühlt"-Kälte und als ob man unseren unausgesprochenen Wunsch erhört, führt uns nach Tagen des Frierens bzw. des Begeistertseins über Schneeparadiese eine eilig abwärts schlängelnde Bergstrasse in deutlich wärmere Gefilde. Fönartig weht uns angenehm warmer Wind entgegen. Es ist schon eine Erfahrung wert, zu spüren, wie gefrorene Motorradstiefel langsam wieder auftauen.

Nacheinander streifen wir unsere übereinandergezogenen Kleidungsstücke ab. In den Kleinstädten der engen Bergschluchten herrscht reges Frühlingstreiben. Männer sitzen in und vor den Teestuben und haben sich bestimmt viel zu erzählen. Neben den Ladentüren stehen kleine holzgerahmte Glasvitrinen, in denen frische Baguettes wirkungsvoll für Umsatz werben. Das Fußvolk läuft schon einen Zahn geschäftiger die Bürgersteige ab, als es noch im Iran der Fall gewesen war, doch gehen hier die Uhren noch langsam genug, um einen Moment stehenzubleiben, um unser Verschwinden in der nächsten Kurve interessiert mitzuverfolgen. Jeder Tag schenkt uns einige Plusgrade, bis wir nach einiger Zeit mal wieder Zeltplatz mit Meerblick genießen können.

Das Mittelmeer versöhnt uns für die letzten Wochen. Von einer Steilküste schauen wir auf intensivst türkisfarbendes Wasser. Wie glattgebügelt bringt die Wasseroberfläche am frühen Morgen keine einzige Welle zustande. Das Rauschen der Kieferkronen über uns wispert uns zu: "Bald, bald seid ihr in Europa, bald seid ihr wieder zu Hause". Wo wir uns eben gerade noch den Arsch abfrieren durften, bruzzelt selbiges Körperteil nun schon wieder fett in der Sonne. Das muß man nicht verstehen und schon gar nicht kritisieren. Wir folgen dem Lauf der Küstenstrasse, welche uns nach jeder Kurve immer wieder ihren Charme zu Füßen legt. Das kräftige Blau des Mittelmeeres in Brandungsnähe von einem dünnen weißen Streifen gesäumt, legt sich sanft an die schräg mit Nadelbaumgrün versetzten Berghänge.

Kurz vor Antalya rüttelt uns eine andere Wirklichkeit aus unseren Träumen. Bettenburgen machen sich gegenseitig den Küstenstreifen streitig. Restaurants, Bars und Discos werben mit Leuchtreklame. In den Städten laden glattgeleckte Uferpromenaden zum Flanieren ein. Sonnenbrillen wackeln an uns vorbei. Man gibt sich cool. Im Touristenwahn kommen wir uns irgendwie überflüssig vor. Auf Hochglanz polierte Sportschlitten hupen uns weg von der Strasse. In den vollverglasten Straßengeschäften betrachte ich unsere Motorradsilhouetten. Nein - wir gehören hier nicht hin. Das ist nicht mehr Asien!

Wir ändern unsere Küstenroute und driften in's Landesinnere ab. Anatolien beweist souverän gleichgeartete reizvollste Verschlafenheit, wie die Dörfer der Osttürkei. Es wird zwar wieder kälter, doch die Landschaft und ihre Bewohner geben uns wieder ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit. Dann treffen wir im Norden auf die Haupttransitstrecke, welche uns die letzten Kilometer unserer Asienrundreise bedeuten soll. Schnell verdichtet sich Besiedlung und Verkehr. Häuser haben auf einmal unzählige Stockwerke und geben sich auffällig zahlreich.

Das Straßennetz wird dichter. Hier kurz vor Istanbul im letzten Atemzug Asiens scheint es nur noch vierspurige Schnellstraßen mit angepflanzten Laternen auf dem Mittelstreifen zu geben. Mit unseren merkwürdigen Gefährten wirken wir schon fast altertümlich, wie aus einer längst vergangenen Zeit. Alles saust an uns vorbei. Da bleibt nicht im Ansatz mehr Zeit zum Grüßen oder Kopfnicken. Es kommt mir vor, wie ein Strudel. Wie ein übergroßer Magnet zieht die Öffnung zu Europa hin alles an und saugt es förmlich durch das schmale Nadelöhr des Bosporus. Asien verabschiedet sich von uns, ohne uns noch ein letztes Mal zuzuwinken. Kein gemütlich dahinzuckelnder Eselskarren vor uns nötigt uns zum Überholen, kein Inder mehr, der sorgenverloren plötzlich unerwartet auf die Fahrbahn springt. Stattdessen geben riesengroße Werbetafeln keinen Grund mehr zum Zweifel, dass sie von europäischen Designern entworfen wurden. Cool dreinschauende Gesichter in 10 mal 10, Kaufreiz erweckende Produktablichtungen absolut professionell in Szene gesetzt, suggerieren das Tor zu einer anderen Welt. Unsere gewohnte Reisegeschwindigkeit von 80 bis 90 ka em ha wirkt von nun an verkehrsbehindernd. Der Blick in den Rückspiegel mit einhergehendem Schulterblick gewinnt plötzlich in rapidem Aufwärtstrend an Bedeutung. Die Piste schlängelt sich um einige letzte Hügel. Eine Kurve, dann noch eine, Gilette-Rasierklingenwerbung, danach noch eine von Coca-Cola und Heinekenbier saust über unsere Köpfe hinweg. Anschließend geht es in schon fast zu schiefer Schräglage um eine letzte Biegung und wir sehen sie endlich: Die Bosporusbrücke!

Groß, massiv und bosporös hängt sie schwer und unverrückbar zwischen den zwei Kontinenten. Schon auf der anderen Seite angelangt, geht meine Blick noch mal zurück. Ich empfinde Dankbarkeit. Wir haben von dieser uns so fremden Welt viel lernen können. Unverwischbar haben sich mancherlei für uns wichtige Erfahrungen und Erlebnisse tief eingraviert. Ein lächelndes aber auch ein feuchtes Auge werde ich wohl stets haben, wenn sich meine Erinnerung an jene Zeit gelegentlich vor mir auftun wird. Doch noch sind wir nicht zu Hause. Wir passieren Istanbul und stehen am nächsten Tag vor der letzten Grenze mit ordnungsgerechter Grenzabfertigung. Ich fühle ein sehnsüchtiges Kribbeln so kurz vor den Toren der EU. Wie wird uns das Euroland und natürlich insbesondere Italien und Deutschland empfangen?

Euer Lo & Mo

 

Italien I
Erdine - Bari, 31. März - 15. April, km 41700

Euphorie macht sich breit.

Mit der Überquerung der türkisch-griechischen Grenze passieren wir die letzte für uns bedeutsame Grenze und stehen unmittelbar danach im "geliebten" Euroland. Stück für Stück stellten sich seit dem Iran kleine typisch europäische Merkmale wieder ein. Als erstes verschwanden die Menschentrauben um uns herum, dann verlor der Verkehr inflativ an Gefährlichkeit. Später fehlte uns in der Türkei das permanente Hupen der LKW-Fahrer und schon vor der Grenze zur EU stieg das Preisniveau auf EU-Level. Das Angebot in den nun wieder existierenden Supermärkten zeigte ausnahmslos schlaraffenlandähnliche Zustände und nicht zuletzt die Temperaturen sanken rapide auf europäische Werte.

Was uns nun in Griechenland besonders positiv auffällt, ist die Währung, die wir noch aus alten Zeiten gut in Erinnerung haben. Der Euro hat uns endlich wieder. Kühler Wind weht uns um die Nase, als wir über die ersten griechischen Asphaltstreifen cruisen. Was soll man hier noch dokumentieren? Die Landschaft ähnelt stark der deutschen und auch die Dörfer geben sich natürlich europäisch. Doch bei näherem Hinsehen fallen uns doch einige Charakteristika auf. Viele der Häuschen in ländlicher Gegend sind im quadratischen Grundriss konstruiert und leuchten strahlend weiss. Dazu schmückt meist ein pastellrotes Dächlein die kleinen bescheidenen Eigenheime der hier Ansässigen. In den vielen Orten, die wir durchfahren, thront hoch oben über den Köpfen auf jedem zweiten Strommast ein prächtig gebautes Storchennest und meistens gibt es das noch kinderlose Storchenpaar gleich dazu. Welch wunderschöner Anblick bietet sich uns auf diese Art und Weise. Ich empfinde es als ein Zeichen des Friedens und des Einklangs mit der Natur, wenn man überall Adebar und Adebarin auf den Nestern, auf den Feldern und während ihres Fluges beobachten kann. Für uns schliesst sich das erste Mal der Kreis. Vor einem knappen Jahr konnten wir die unzähligen Störche der Ukraine bewundern und nun erinnern sie uns daran, dass fast ein Jahr vorüber gegangen ist.

Zügig bewegen wir uns gen Westen. Die Temperaturen lassen jede Gastfreundlichkeit vermissen. Als wir dann noch wieder Mal typisch im Gebirge ein Regenszenario miterleben, welches mit einer Passüberquerung jenseits der Schneegrenze gipfelt, trägt uns nur noch ein Gedanke: Wieviele Kilometer sind es noch in den hoffentlich wärmeren Süden Italiens? Zum Glück hält sich die Ost-West-Ausdehnung Griechenlands in Grenzen und so besteigen wir am 4. April eine Fähre, welche uns von Igoumenitsa nach Brindisi (Um der italienischen Sprache genüge zu tun, bitte die Betonung auf die erste Silbe des Städtenamens legen! ;-) ) schifft. Mein Herz schlägt höher, als unsere Räder von der Fähre rollen und Sekunden später italienischen Asphalt berühren.

Wir sind tatsächlich in Italien!!! Nun muss man der Vollständigkeit halber erwähnen, dass Italien für einige Bewohner dieses Erdballs nicht gleich Italien ist. Nein, mancher durchaus sympatische Zeitgenosse verbindet mit diesem Land nicht nur Oliven, Parmesankäse und besonders leckere Weinsorten. Italien! Das schmeckt nach viel mehr. Die ersten Worte, die ich aufschnappe klingen wie Musik in meinen Ohren. Man spricht hier nicht, sondern singt dem Gesprächsgegenüber förmlich zu. Die Städte hier sind nicht nur Städte einfach so. Nein, es sind italienische Städte. Das Flair der kleinen Gassen der Hafenstadt Brindisi lässt uns sofort unsere Fotoapparate zücken. Wäsche hängt auf Balkonen, Gezeter dringt aus engsten Strassenzügen und betagte Senioren schlendern bereits zu frühester Morgenstunde auf den kleinen Plätzen umher. Zeitungsverkäufer rollen gerade ihre Markisen hoch, bescheidene Tante-Emma-Läden öffnen soeben ihre Pforten. Immer noch hüpft mein nicht zur Ruhe kommen wollendes Herzchen aufgeregt von links nach rechts und wieder zurück. Endlich versteht man wieder, was die Leute einem so erzählen. Wir geniessen es wahrhaft, diese ersten Augenblicke in diesem schon fast zweiten Heimatland für uns. Auf einem Gemüsemarkt ausserhalb der Stadt lädt uns als eine Geste des Willkommenseins ein Signiore zu einem Cappuccino ein. Zu einem normalen Cappuccino hätten wir vielleicht noch Nein sagen können, aber hier gibt es nur original italienische Cappuccinos und so schaffen wir es nicht im Ansatz die Einladung auszuschlagen.

Der Tag vergeht schnell. In einer nett angelegten Olivenbaumplantage richten wir uns so für mehrere Tage häuslich ein. Zehn Tage haben wir nun Zeit, bis wir mit dem schon in früheren Tagen bestellten Geleitschutz gemeinsam nach Norden vordringen. Doch es gibt auch viel zu viel zu tun. Die Tage verbringen wir mit dem Schreiben der längst überfälligen Reiseberichte, mit der ebenfalls längst überfälligen Durchsicht der Moppeds und mit anderen natürlich längst überfälligen tausend Wichtigkeiten.

An einem Abend bekommen wir unerwarteten Besuch von zwei besonders coolen Vertretern der Spezies Humanus Erectus. Ein Italiener und ein Schweizer stellen sich uns vor. Die beiden sind äusserst anstrengend zu händeln. Erst erzählen sie uns im Monolog von sich und Gott und der Welt, dann fährt der Italiener in seinem besorgniserregenden Zustand noch einmal in den nächsten Ort, um Bier zu besorgen. Unterdessen berichtet uns der Schweizer Andrea, warum er nicht mehr in seinem Heimatland lebt. Er hätte an einem Diskoabend nur kurz den Vorwärtsgang seines Kleinbusses mit dem Rückwärtsgang verwechselt und sich anschliessend gewundert, warum die Polizei vor seiner Tür steht und ihn der Fahrerflucht beschuldigt. Er hätte jemanden überfahren, was er natürlich in unserer Gegenwart wehemend bestreitet. Um sich noch besser in Szene zu setzen setzt er noch eins drauf und prahlt mit der Vergangenheit seines gerade fortgefahrenen Freundes Enzo. Dieser hatte wohl an einem ebenso geselligen Abend eine kleine Meinungsverschiedenheit mit einem Kontrahenten, den er darauf einfach mal kurzerhand erschossen habe. Zwei Mörder? Und das auf unserem sonst so netten, friedlichen Olivenbaumplantagenzeltplatz? Ich schaute mir schon früher im Fernsehen mit Absicht keine Krimis an. Wer würde da vermuten, dass ich womöglich mal in einem mitspielen wollte? In beiderseitigem Einverständnis packen wir am nächsten Morgen unsere Sachen und sind verschwunden, noch bevor unser neuer Freund Andrea uns wie versprochen, den nur 5 Kilometer weit entfernten Strand zeigen kann.

Wir bewegen uns weiter in Richtung Bari, wo wir bald unseren schon eigentlich vorher dringend benötigten Geleitschutz empfangen werden.

Euer Lo & Mo

 

Italien II
Bari - Bozen, 15. - 29. April, km 44200

Es ist Frühling in Süditalien. Die Obstbäume stehen in voller Blüte und der Löwenzahn leuchtet in seinem fetten Buttergelb von den saftig grünen Wiesen der Olivenbaumplantagen. Ein milder Luftzug verwöhnt unsere Nasenspitzen. Mit unserem Securityguide Steffen im Schlepptau bewegen wir uns nun streng nordwärts. Am Abend werden Geschichten zum Besten gegeben und tagsüber die faszinierdenden Landstriche bewundert. Von Apulien über die Basilikata und Kampanien verschlägt es uns nach Lazio. Egal, wo wir entlangfahren, überzeugt das Panorama in entzückendsten Bildern. Leicht hüglige Gegenden von Olivenbäumen rasterartig angepflanzt überzogen, wunderschön dicht an dicht an steile Berghänge geklebte Stadtsilouetten, naturbelassene alte Berghütten auf endlosen intensiv grün leuchtenden Wiesen geben der Umgebung einen zutiefst italienischen Touch.

Leider hält uns das Wetter nicht all zu lang die Treue und so müssen wir widerwillig die Fotoapparrate in den Taschen lassen, da die dunklen Regenwolken das Tageslicht dimmen. Bald schaltet der Wolkenvorhang auf Dauerregen um, so dass die eben noch empfundene Faszination in Resignation umschlägt. Auch am nächsten Morgen weckt uns stürmisches Regenplattern. Da dreht man sich lieber noch mal um und träumt von den so heissen Tagen in der iranischen Wüstenlandschaft. Trotzdem fahren wir weiter, doch der Regen gönnt uns an diesem Tag keine einzige Pause. Zum Abend hin zelten wir am Fusse einer Wiese in Hanglage. Gerade mal zum Kochen verlassen wir die schützenden Zeltwände. Langsam beginnen wir zu zweifeln, ob wir wirklich durch Italien reisen.

Um ein bisschen Abwechslung ins Wettergeschehen zu bringen, empfängt uns natürlich auch der nächste Tag mit Regen. Diesmal bleiben wir aber faul in den Schlafsäcken liegen und warten auf bessere Zeiten. Teilweise wird der Regen so stark, dass wir um unseren trockenen Untergrund fürchten. Dann passiert mit einem mal etwas Unerwartetes. Die Pfützen im Wald vor uns vereinigen sich zu einer grossen und der somit entstehende Wasserpegel steigt in wenigen Stunden bedrohlich an. Eigentlich kann es doch so etwas gar nicht geben. Woher kommt plötzlich das ganze Wasser? Noch einige Minuten über dieses Phänomen vergrübelt und schon steht die Wasserkante vor unseren Zelten. Es nutzt nichts, wir müssen den Hang weiter nach oben ziehen. Erst verschieben wir unsere Zeltstatt nur um wenige Meter, doch als dann der Wasserstand auch diesen höhergelegenen Punkt berührt, entschliessen wir uns, ganz nach oben umzusiedeln. Mittlerweile triefen unsere Sachen und die Ausrüstung. Dann haben wir es irgendwann endlich geschafft.

Doch irgendetwas fehlt. - Die Moppeds!!! Um unsere treuen Untersätze haben wir uns gar nicht gekümmert. Nun stehen diese bereits knietief im Wasser. Wir können sie nur noch schieben. Als wir in sicherer Entfernung alles wieder an seinem Platz verstaut haben und die Misere uns noch einmal betrachten, stellen wir fest, dass aus einem weiter entfernten unscheinbaren Flüsschen das Wasser ca. einen Meter angestiegen sein muss. Im Urwald von Malaysia hätte ich das für möglich gehalten, doch hier in Italien?

Der nun vierte Tag in Folge beschert uns erst ein richtiges Schlechtwetterszenario. Nachdem wir die wunderbar eklig nasse Motorradkleidung wieder auf der Haut spüren, zieht es uns weiter in Richtung Toskana. Die Strassenzüge verwandeln sich in einen einzigen Wassernebel. Hinter den Brummies prasseln regelrechte Wasserfälle auf uns nieder. Während der Stops an den Raststätten bekunden wir uns gegenseitig unser Mitleid und haben so neue Motivation für die nächsten Kilometer. Als wir am Abend einen Zeltplatz suchen, sind wir etwas ratlos. Alle abgehenden Feld- bzw. Waldwege sind unbefahrbar geworden. Die Felder führen zu viel Wasser, als dass man darauf zelten hätte können.

Da passiert erneut etwas völlig Unerwartetes. Lo versucht nachzudenken und entwickelt so absolut überraschend eine geniale Idee. Soeben fuhren wir an einem noch nicht freigegebenen Autobahnabschnitt vorbei, der aus einem Tunnel mündete. Einen kurzen Augenblick später sind drei deutsche Motorradfahrer spurlos verschwunden, dafür hört man aus einem weiter entfernt liegendem Tunnel merkwürdige Geräusche. Ich glaube, dies ist mit Abstand unser bisher aussergewöhnlichster Zeltplatz. Nachdem wir trockene Sachen am Leib tragen, lässt sich dieses komische itlienische Klima schon viel besser ertragen.

Zum Glück empfängt uns tags darauf die Toskana bereits viel wetterfreundlicher. Sogleich habe ich die letzten Tage vergessen und geniesse die wunderschöne mediterrane Landschaft. Wiedermal begeistert die Toskana in mit verführerischem Charme und souveräner Eleganz. Sorgfältig angelegte Olivenbaumplantagen erklimmen die munter gebogenen Hügellinien. Die so typisch für die Toskana anmutenden Landhäuser in ihrem pastellbeigem Ton und den schwach rosa-orange farbenen Dächern waren ein Bild, dass ich schon lange vermisst hatte. Die schmalen, schlanken, hochgewachsenen, spitzen Nadelbäume dürfen in dieser Gegend natürlich nicht fehlen. Mit viel Liebe und Sorgfalt eingerichtet ist hier jeder Bauernhof eine Augenweide. Grosse Blumentöpfe und -krüge stehen neben ordentlich hergerichteten Häusereingängen. Liebevoll gesetzt strahlen Tulpen auf eng gehaltenen Beetchen der Vorgärten. Nichts ist hier dem Zufall überlassen. Schilder werben für den Weinkauf direkt beim Winzer. Schon wird es merklich wärmer. Wir durchfahren Weinanbaugebiete und werden hier und da zu dem einen oder anderen Foto verführt. Dann verlassen wir diese so reizvolle Gegend, um uns einer anderen ebenso netten Region zu nähern.

Ligurien verzaubert besonders durch den Landstrich um Cinque Terre. Dort stehen in gebührendem Abstand zu einander fünf kleine bescheidene Städtchen an der Mittelmeerküste dicht gedrängt auf Felsen gebaut. Diese Küstenlinie besitzt ihr ganz eigenes Flair. Danach durchqueren wir die Appenninen und lassen uns vom italienischen Po inspirieren. Reisfelder dominieren bald das Auge des Betrachters. Wie eine riesige Seenlandschaft umgibt uns hier in ausnahmsloser Ebene Reisfeld an Reisfeld. Italien malt viele Gesichter. Jedes dieser Panoramen ist eine Reise wert. Wir sind froh, dieses faszinierende Land nun mit in unseren Reisebeschreibungen verewigen zu können.

Nun stehen wir wieder an der Schwelle zu unserem Heimatland. Wie wird uns Deutschland empfangen? Werden wir überhaupt noch mit dieser eigentlich altvertrauten Umgebung etwas anfangen können?

Euer Lo & Mo

 

Deutschland
Bozen - Wildau, 29. April - 1. Mai, km 45000

Nun liegt unsere Reise in den letzten Atemzügen. Der Traum Wildau → Shanghai → Wildau ist bis auf wenige letzte Kilometer ausgeträumt.

Mit gemischten Gefühlen fahren wir durch die letzten Tage dieses für uns so aussergewöhnlichen Jahres. Italien zeigt sich noch einmal von seiner charmanten Seite. Die Passstrasse über den Brenner präsentiert uns einmal mehr die Alpen von ihrer imposantesten Seite. Natur kann so einfach faszinieren und bezaubern. Kleine verschlafene tirolische Dörfer liegen in übersichtlichen Tälern. Im Hintergrund dieser ziehen sich mächtig und erhaben die schroffen Gebirgsmassive empor. Schneebedeckt die Gipfel der Bergriesen, schäfchenwolkenverziert das Azurblau des Firmaments darüber, irgendwo zwischen den Gebirgsketten die grünen Maiwiesen der Almen und irgendwo im Tal singt jemand "Heidi, Heidi, deine Welt sind die Beherge". Motorradfahrer brennen an uns vorbei, BMW-Fahrer signalisieren hinter uns mit ihrer Lichthupe, dass Deutschland nicht mehr weit ist.

Dann müssen wir uns leider von Italien verabschieden. Nur ein tief blaues Schild mit einem gelben Sternenkranz darauf informiert uns darüber, dass wir just in diesem Moment in unser letztes Reiseland eingefahren sind. Österreich begrüsst uns mit Sonnenschein und nun mittlerweile wolkenfreiem Himmel. Bilderbuchkühe und Bauernhöfe wie im Reisekatalog angepriesen lassen jeden Ansatz einer Existenz von chaoshaften Zuständen vermissen.

Dann passieren wir nach exakt einem Jahr die nun letzte Grenze auf dieser Reise. Im EU-Kranz lesen wir zwei altvertraute Wörter. Es gibt sie tatsächlich noch, unsere Bundesrepublik Deutschland. Viele mögen mit diesem Land ein Problem an sich haben. Doch nach einem Jahr in fremden Welten, die weiss Gott nichts mit unserer gemein haben, sehe ich mein Heimatland nun in einem anderen Licht. Sicher werde ich auch nach Shanghai nicht stolz auf bestimmte Geschichtsabschnitte dieses Landes sein und dennoch trage ich mittlerweile einen gesunden Nationalstolz im Herzen. Ja, ich bin stolz darauf, Deutscher zu sein! Die Leute hier sprechen auf einmal wieder unsere Sprache. Die Buchstaben auf den Schildern formen deutsche Worte, die aber nicht immer einen Sinn ergeben.

An einer Strassenbaustelle steht eine rot leuchtende Ampel seitab auf dem Bürgersteig. Unmittelbar darunter ist ein Hinweisschild zu lesen: Bei Rot bitte hier halten! Etwas unsicher und verwundert über solchen Nonsens, aber bereit, uns freiwillig nun wieder an deutsche Reglementierungen zu gewöhnen, fahren wir mit den Bikes auf den Bürgersteig brav direkt vor das Schild. Klar, wir sind doch Deutsche und müssen uns nun wieder in diese Gesellschaft einfügen.

Mit einem Mal hört abrupt jegliches hoch und runter der Bergwelt auf und nach kurzem Hügeldurcheinander, cruisen wir wieder durch ebenste Ebene, als ob nichts zuvor anders gewesen wäre. Die deutschen Dörfer sind immer noch die schönsten. Rote Dächer drängen sich aneinander und umranken den nie fehlenden schlanken Kirchturm des Ortes. Deutsche Grundstücke begeistern mich stets auf's Neue mit ihren aufgeräumten Höfen, den strategisch durchdacht angelegten Vorgärten und der überall zu spürenden Liebe zum Detail. Die deutsche Lebensart mit ihren Biergärten, Terrassen und einladenden Wirtshäusern ist die einzige, mit der ich etwas anfangen kann. Der Lifestyle anderer Länder kann mich faszinieren, mitreissen und sogar einen Augenblick lang festhalten, doch in meinen Wurzeln bin ich deutsch, das spüre ich auf jedem der nun abrollenden Kilometer.

Wir passieren die ehemalige Grenze der alten zu den neuen Bundesländern und obwohl nun knapp 15 Jahre seit dem Mauerfall in's Land gegangen sind und die Fassaden der Häuserzeilen längst ein modernes Gesicht bekommen haben und überhaupt das Aussehen der Städte sich grundlegend gewandelt hat, spüre ich doch sofort die gute alte ostdeutsche Gemütlichkeit. Zwei Trabants halten an einer Kreuzung neben mir. Vielleicht fühlen sich deren Insassen ein bisschen verarscht, als ich sie unentwegt anstarre, doch ich bekomme mein überaus wohlwollendes Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. In der Luft liegt ein schwer zu beschreibendes Flair, welches wie von selbst entsteht, wenn man sich durch die Strassen Ostdeutschlands bewegt.

Langsam morphen sich die Landschaftszüge mehr und mehr zu heimatlichen Bildern. Die ersten kleineren aber dennoch wohlbekannten Orte tauchen auf den gelb-schwarzen Wegweisern auf. Rein zufällig treffen wir unterwegs bereits einen Freund, der hier in der Nähe von Jüterbog zu Hause ist. Obwohl wir seine Familie nicht kennen, beschert uns ein spontaner Besuch bei ihm daheim ein typisch deutsches herzliches Empfangen. Auf einmal haben wir das Gefühl, nicht mehr als Ausländer gehandelt zu werden. Die Art der Leute warm, direkt und ehrlich ist uns wieder vertraut und entgegenkommend.

Dann begegnen uns kurz vor Jüterbog zwei doch recht ungeduldige Motorradfahrer. Nur weil wir den verabredeten Treffpunkt in der Stadt mit einer nichtssagenden Verspätung von zwei Stunden erreicht hätten, sind uns die beiden in unverantwortlicher Eigeninitiative bereits entgegengefahren. Unser Altrocker Ulli, der uns wohl der treueste Reiseberichtkommentator geworden ist und jeden Kilometer der Reise förmlich mitgefühlt hat, steht plötzlich wieder in Fleisch und Blut vor uns. Die Begeisterung ist auf beiden Seiten gross. Auch unser Freund Sven erweist uns die ausgesprochene Ehre und ist uns auf den letzten Kilometern entgegengefahren. Beide reihen sich mit in unseren Geleitzug nach Wildau ein. So begleiten uns Steffen, Christoph, Karsten, Sven und Ulli und geben uns schon ein Vorgefühl, wieder zu Hause zu sein.

Nach Jüterbog trennen uns nur noch wenige Kilometer von Wildau. Alles scheint mir so vertraut und ist doch so unendlich weit entfernt. Mit einem Mal überkommt mich ein Gefühl, dass ich hier nicht mehr hingehöre. Ich scheine nicht mehr in diese Welt zu passen. Alles perlt buchstäblich von mir ab. Meine Gedanken schweifen zwanzigtausend Kilometer weiter. Es scheint mir unwirklich, dass wir vor gut sechs Monaten mit den Bikes in Shanghai gewesen sind. Ich schaffe es einfach nicht, mir die Vergangenheit, sowie die Gegenwart zu vergegenwärtigen. Was ist nur mit mir geschehen. Ich fühle mich wie in einer Scheinwelt. Giuly ist nicht mehr Giuly und Deutschland ist nicht mehr Deutschland. Mein Blick weitet sich. Er durchdringt alles, was ihn begrenzt und verliert sich irgendwo in der Leere dahinter. Ja, ich fühle mich leer. Ziellos, planlos lasse ich mich von meiner Maschine tragen. Ob Lo ähnliche Gefühle und Gedanken plagen? Ich zwinge mich lieber wieder in den Augenblick. Tief atme ich durch und geniesse noch einmal jede Kurve, jede Beschleunigung und jedes sich mir plötzlich neu eröffnende Panorama. Noch bin ich frei! Noch weht mir der Fahrtwind um die Nase.

Die märkische Heide hat uns wieder. Kiefern im Heidesand säumen die Seiten der Strasse. Klar, ich bin hier zu Hause und doch fühle ich mich kontaktlos, entwurzelt. Wir durchfahren Zossen, dann Mittenwalde. Die letzten Meter laufen zu schnell vor unseren Augen ab. Königs Wusterhausen hat sich nicht verändert. Es ist, als ob wir gerade gestern erst los sind. Das A10-Center blinkt in der Dämmerung wie zu Weihnachten. Links davon stehen neue Hallen.

Die Wildbahn liegt verlassen vor uns. Vielleicht haben wir mit Absicht nicht viel Wind um unsere Ankunft gemacht. Wir konnten ja auch keine Garantie geben, wann wir in Wildau aufschlagen werden. So hat sich kein Mensch hierher verlaufen. Es ist ein komisches Gefühl, wieder hier zu sein. Ein Foto hier und ein Foto da für die Dokumentation, dann steuern wir den letzten Punkt dieser Reise an. Die Luisenstrasse Nummer 11 in Schulzendorf war uns immer eine Adresse der herzlichsten Gastfreundschaft. Der intensive, willkommensheissende Schlag auf den Rücken während der Umarmung unseres nicht wegzudenkenden Freundes Kow zerschmettert uns zwar fast unser stärker gewordenes Rückrad, doch wir überleben ihn. Sandra steht vor uns. Auch sie hat uns mächtig gefehlt. Die Umarmungen sind intensiver als je zuvor. Auch Yvonne und Andre geben sich uns die Ehre. Danach sind die Hunde dran. Cessy wedelt mit der Rute. Daneben, das ist doch ... - Nein sie ist es nicht. Mir fällt das auf dem Internetfoto betrachtete Wollknäuel ein. Aunja hat sich ziemlich beeilt mit dem Wachsen. Sie wird uns nur von den Fotos her kennen ;-). Erst als wir uns auf die Terrasse hinter das Haus begeben, sehe ich, dass noch jemand auf unsere Begrüssung wert gelegt hat. Matze und Christoph strahlen mich an.

In diesem Moment spüre ich, wie wichtig es ist, Freunde zu haben. Ganz egal, wie ich diese Rückkehr verarbeiten werde, ganz egal, wie viele Anlaufprobleme uns in der kommenden Zeit das Leben schwer machen werden. Ich bin froh, endlich wieder hier zu sein. Wir wurden nicht vergessen, im Gegenteil, ich hab ein bisschen das Gefühl, dass man vielleicht sogar auf uns gewartet hat. Zu aller Wehmut und Bekümmernis kann ich doch nach so vielen bereisten Orten in Europa und Asien mit 367maliger Sicherheit lauthals verkünden:

Hier bin ich Mensch, hier will ich sein!

Euer Lo & Mo

 

Epilog

So!!! - Da sind wir also wieder.

Die Lomos haben mit einem satten Häkchen hinter dem 1. Mai 2004 ihre Expedition nach Shanghai abgeschlossen. Deutschland liegt uns nun wieder wie ein weicher Mutterschoß zu Füßen. Liebevoll, fürsorglich, erdrückend und erstickend umwebt mich wieder alles, was zu tief in meiner Erinnerung vergraben lag.

Der Alltag hier hat sein Grau nicht verloren. Im Gegenteil, alles scheint mir noch alltäglicher, noch regelmäßiger und eingefahrener abzulaufen. Wie durch eine dicke Wand aus Plexiglas beobachte ich das Geschehen um mich herum, als wenn ich noch in einer anderen Welt stecke. Während der Reise war unser Ziel klar definiert: Fahren, fahren, fahren. Ein soeben entstandenes Problem nahm mit seiner unglaublich penetranten Dominanz sofort zwingend unsere gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch, um von uns so schnell, wie möglich gelöst zu werden. Davon gab es dann jeden Tag reichlich, so dass wir abends rücklinks über in die Schlafsäcke kippten. Und jetzt? Jetzt gähnt ein großes, schwarzes Loch vor mir, wenn ich von meinem warmen, trockenen und viel zu weich gepolsterten Bett in den neuen Tag hineinschaue und spätestens bei der Frage, was ich heute eigentlich zu tun hab, rutsche ich zwangsläufig in eben genau dieses ab. Unser monatelang erprobtes Schema F passt plötzlich nicht mehr auf die nun entstandene Situation. Gedankengänge entwickeln in mir eine alles in Frage stellende skurile Welt. An jeder Ecke stößt mir Deutschland unangenehm in die Magengrube. Dieses Land liegt unter einer derartig dicken künstlichen Schaumschicht, dass ich die Wirklichkeit um mich herum nur schwer als gegeben hinnehmen kann. Ich werde den Eindruck nicht los, dass die Leute sich mit zu vielen unwichtigen Dingen abgeben, und so um sich herum eine Art Scheinwelt aufbauen. Die Werbung hat alles und jeden fest im Griff. Perfektion gibt es nicht und doch wird sie allerorts pausenlos suggeriert. Die Leute vergessen auf der Straße einander zu grüßen, Versicherungen und Banken geniessen ihre Narrenfreiheit, eine Frau echouffiert sich im Gespräch mit mir über eine regelwidrig angebrachte Satellitenschüssel auf dem Balkon meiner Untermieter. Da fällt mir die drohende Lichthupe im Rückspiegel schon gar nicht mehr auf.

Ich zwinge mich jeden Tag neu die Dinge um mich herum einfach zu akzeptieren. Dabei bemerke ich, wie gut mir diese Therapie tut. Das erste Ticket für falsch parken mit dem Motorrad dokumentiert sich nur noch mit einem Kopfschütteln meinerseits. In anderen Ländern habe ich doch auch alle Besonderheiten akzeptieren können. Ja! - Nur so ist eine Eingliederung wieder möglich. Auf einmal lebt mein Lächeln wieder auf. Die Deutschen mit ihren Macken und Eigenheiten sind mir doch die liebsten Zeitgenossen und langsam spüre ich, wie wieder mehr und mehr ein Stückchen Heimat in mich einkehrt. Ich bin noch nicht zu Hause angekommen, aber mit meinem Rezept in der Tasche ist es sicher nicht mehr weit.

Dabei haben wir für die Zukunft große Pläne geschmiedet. Eine Diashow soll eines unserer neuen Vorhaben sein. Mit unserem umfangreichen Bildmaterial wollen wir all denen, die an unserer Geschichte interessiert sind und die gerne mal ein Fenster in die große weite Welt aufstoßen wollen, die Möglichkeit geben einen Hauch unserer erlebten Abenteueratmosphäre zu spüren. Des Weiteren bereitete mir das Verfassen der Reiseberichte eine besondere Freude, so dass in mir der Wunsch reifte, über diese Reise ein Buch zu schreiben. Da heutzutage jeder Idiot ein Buch schreibt und verlegt, dachte ich mir, dass mein Senf als Beitrag zum großen Weltgeschehen nicht fehlen darf. Wenn dann noch Zeit bleibt wollen wir die Musik auch nicht zu kurz kommen lassen und ein Album passend zu den Stimmungen des Diavortrages produzieren. Auf jeden Fall wird es in der nächsten Zeit mehr, als genug zu tun geben. Dank dieses neumodernen Schnickschnacks ist es uns möglich, euch weiterhin mit Informationierungen vollzustopfen, was wir natürlich auch gerne tun werden. Von Zeit zu Zeit wollen wir euch mit diesem Verteiler eine Art Newsletter zukommen lassen, in dem wir euch über das Fortschreiten unserer Vorhaben und wichtige Termine in Kenntnis setzen werden.

Bevor wir aber nun unserer Reiseberichtserie ein Ende setzen, möchten wir noch einmal all denen danken, die uns vor, während und nach der Reise zur Seite gestanden haben:

  • (Mo) Giuly - die italienische Seite ist echt geil geworden, nur gibst du mir wieder mit jedem deiner anspruchsvollen, professionell formulierten Sätze das Gefühl, dass ich deine Sprache immer noch nicht kann. Bist etwas ganz Besonderes!
  • (Lo) Dony - Ohne Dich wäre ich wahrscheinlich in Asien gestrandet.
  • (Mo) Mama, Papa - ich wusste gar nicht, dass ausgerechnet ich die besten Eltern der Welt habe.
  • (Lo) Mudders - mit Nisylen im Reisegepäck wird man nicht krank, dass sagtest du schon als ich fünf war und es scheint immer noch zu stimmen
  • Kow, Sandra - eine Wohnung in Chennai wäre uns viel billiger gekommen, Danke, dass wir nun monatlich wieder richtig Kohle abdrücken können.
  • Ulli - nächstes Mal kommst du mit! Aber wer würde uns dann die so kraftspendenden Feedbacks schreiben ;-)
  • Steffen - Losgefahren sind wir nur mit einer Emailadresse im Gepäck, wiedergekommen mit einer eigenen Webseite, die in vier Sprachen unsere Reise dokumentiert. Ohne dich wär's bei der Emailadresse geblieben. Danke!
  • Olga & Co - Danke für euer erstaunliches Engagement! Wer hat schon auf seiner Homepage einen русский-Button
  • Norman - Shanghai war für uns durch dich die absolut geilste Zeit der Reise und somit ein fraglos würdiger Höhepunkt. Für dich steht immer ein kühles Bier in unserem Kühlschrank.
  • Sylvia, Gisbert - mitten im tiefsten Sibirien ein Stückchen Deutschland geschenkt zu bekommen, war uns ein ganz besonderer Genuß
  • Alexej und Familie - russischer kann Russland nicht sein. Banja, Wodka und Schaschlik - es war einmalig. Danke!
  • Tsend, Marta und Namsrei - wie wärs mal mit einem Abstecher nach Berlin? Auf jeden Fall sehen wir uns wieder.
  • Albrecht - Kinderfußball und Töchter ohne Stimme haben uns neben deiner großen Hilfe oft zum Lachen gebracht. Wir sehen uns.
  • Rose - Durch dich haben wir China mal von einer ganz anderen Seite kennengelernt. Danke für diese besondere Woche.
  • Kristin - dass man euch Sachsen doch auch überall auf der Welt treffen muß. Danke, dass du da warst!
  • Thomas - hast du mal über eine Karriere als Fotograf nachgedacht? Danke für deinen ambitionierten Einsatz!
  • Adela, Joe - eure Gastfreundschaft war einfach unglaublich! Wenn ihr mal vorbeischau'n wollt.
  • Skysurfer - durch solch eine Reise kann man leicht Freunde verlieren. Danke, dass du mir das Gegenteil bewiesen hast!
  • Christoph R. - wenn man nachts nicht schlafen müsste, hätten wir deinen Geleitschutz sicherlich schon ab Istanbul in Anspruch nehmen können
  • Matze, Christoph - Ein Zelt ist schön, ein "Lagerraum" mit den Sachen, die leider hier bleiben mussten, aber noch viel schöner. Danke für den hervorragenden Verwalter.

Und um nun endlich mal zum Ende zu kommen, sei auch allen denen gedankt, die wir hier nicht extra aufgelistet haben. Wir haben Euch nicht vergessen! Wir sehen uns spätestens bei der Diashow wieder.

Bis dahin alles Gute

Eurer Lo & Mo