8. Reisebericht in KaWe - Kurier 42/03

Russland II
Kaukasus (Кавказ) - Samara (Самара), 10. - 24. Juni, km 7000

Der Kaukasus (Кавказ) – ein Gebirge im äussersten Südwesten Russlands, welches sich vom Schwarzen Meer bishin zum Kaspischen Meer erstreckt. In meiner Kindheit las ich oft russische Märchen, die genau von dieser Region erzählten. In meiner Erinnerung ist davon nicht mehr viel hängengeblieben und doch assoziiere ich unweigerlich die Landschaft, die mich umgibt, mit den Geschichten von damals.

Nach mehreren nervenden Polizeikontrollen zieht uns nun der Kaukasus in seinen Bann. Wo uns anfangs noch Wälder am Strassenrand begleiteten, sind es jetzt grasbewachsene Hügel mit rundlichen Kuppen, die das Landschaftsbild dominieren. Schräg abfallende Hänge, kaum ebene Flächen und kurvenreiche Linien prägen das Relief. Von der asphaltierten Hauptstrasse biegen wir rechtsseits auf einen Sandweg ab. Eine Art Wärter steht vor seinem Wachhäuschen. Der Weg führe zum Elbrus (Эльбрус), aber hier dürften wir nicht langfahren. Nach kurzem Smalltalkversuch unsererseits gibt er uns doch den Weg frei. Nach einer Weile versperrt uns eine riesige Viehherde den Weg. Geduldig passieren wir sie im Schritttempo. Hinter dem nächsten Hügel schlagen wir unser Nachtlager auf. Noch mit dem Abpacken beschäftigt müssen nun die vielen Schafe und Ziegen an uns vorbei. Ihre Schäfer kommen angeritten. Ihr äusseres sieht zu original kaukasisch aus, so dass ich der Versuchung nicht widerstehen kann, sie in voller Schäfermontur abzulichten.

Als wir ihre Adresse aufschreiben lassen, um ihnen die Bilder nach einem Jahr schicken zu können, stellen wir voller Begeisterung fest, dass nur der älteste von ihnen des Schreibens mächtig ist. Sie ziehen weiter, während wir uns dem Zeltbau widmen. Danach steige ich auf den höchsten Hügel in der Umgebung und werde in vollen Zügen für meine Anstrengung belohnt. Am Horizont erstreckt sich eine auffallend gerade Gebirgskette, aus deren Mitte – ich kann meinen Augen kaum trauen – erhaben, majestätisch und atemberaubend der Elbrus (Эльбрус) gleichmässig emporragt. Die untergehnde Sonne färbt seinen ihn vollständig bedeckenden Schneemantel in ein zartes Rosa. Es erinnert mich an den Monte Rosa in den italienischen Alpen und sofort steigt Sehnsucht in mir auf. Wie gern hätte ich diesen Augenblick jetzt mit meiner besseren Hälfte geteilt.

Am nächsten Morgen stehen wir extra früh auf, um die Schönheit seiner Majestät in unsere Fotoapparate zu verbannen. Danach führt uns der Weg raus aus diesem Hügelland in die Ebenen. Im Gegensatz zum Kaukasus gibt es hier wenig Interessantes zu entdecken. Aus Zeitgründen und Sparmassnahmen entscheiden wir uns dazu, Kasachstan aus dem Programm zu nehmen. Unsere Route verläuft gen Norden über Elista (Элиста) und Wolgograd (Волгоград), zwei interessant Städte, besonders Wolgograd (früheres Stalingrad) mit seiner prägenden Vergangenheit. Erst noch trockenes Steppenland, so weit das Auge reicht, wechselt die Vegetation bald zu Baumbewuchs, bis wieder Felder das Landschaftspanorama bestimmen.

Es wird feucht. Wir müssen viele Regentage über uns ergehen lassen. Auch, als wir die Stadt Samara (Самара) erreichen, begrüsst uns selbige mit jenem kalten Niederschlag. Nässe und Kälte tagelang zermürben unsere gute Laune. Lustlos sitze ich mitten in Samara (Самара) am Strassenrand auf meiner Maschine und warte auf Lo, da spricht mich ein junger Russe an. Alexej heisst er und will wohl sein Englisch ein wenig trainieren. Er stur auf Englisch, ich stur auf Russisch unterhalten wir uns eine Weile. Er ist mir sympatisch, und so haben Lo und ich auch nichts einzuwenden, als er uns vorschlägt, bei ihm in Samara (Самара) zu übernachten. In einem der zahlreichen Plattenbauten aus längst vergangenen Tagen verbringen wir mit Alexej und einem Freund von ihm den Abend.

Am darauffolgenden Tag nutzen wir die Gelegenheit und waschen unsere stark verschmutzte Wäsche. Dann lädt uns unser neuer russischer Freund zu einer improvisierten Sightseeingtour quer durch seine Stadt ein. Zuerst treffen wir uns mit Alexejs Freundin Tanja, um danach durch einige Buchläden zu schlendern. Meine wiedergefundene Begeisterung für die russische Sprache gipfelt in dem Kauf des zweiten Bandes von Harry Potter, natürlich auf Russisch. Anschliessend tun wir uns ein bischen Kultur an. (Mama kann stolz sein!) Denkmäler und historische Gebäude gibt es genug in der Stadt.

Den Abend sitzen wir zusammen mit anderen Russen an der Uferpromenade der Wolga. Wir lassen uns das Bier schmecken, denn von uns muss ja keiner mehr am Gasgriff drehen. Irgendwie ist es hier viel leichter, mit anderen Leuten ins Gespräch zu kommen. Als die Sonne ihr rotes Rund am Horizont in die Wolga plumsen lässt, führt uns Alexej noch zu einem Freund. Nichtsahnend stehen wir auf einmal in einer Neubauwohnung umgeben von Terrarien, die hier nicht zum Spass aufgestellt wurden. Alexejs Freund ist Schlangendomteur. - Toll! - Wirklich toll! Ich hab ja auch gar keine Angst vor Schlangen. Zu meiner grossen Freude werden uns zwei grosse Mäntel umgehängt.Dann darf sich Lo über eine 2 Meter lange Pyton freuen. Mir ist nicht ganz klar, ob er sich bewusst ist, dass er bei dieser Spezies den Erstickungstod erleiden kann, aber Zeit zum überlegen bleibt so und so nicht. Eine weitere Terrarienscheibe wird beiseite geschoben, hinter der soeben noch eine Schlange mit einer Maus gespielt hat. Diese Tatsache verrät mir, dass dieses Exemplar womöglich Hunger haben könnte, und noch dazu schlechte Laune, wenn man sie vom Zubereiten ihrer Mahlzeit abhalten würde. Es ist ja auch ganz egal, ob uns erst der Hals zugeschnürt wird, das Gehirn aussetzt oder das Blut in den Adern gerinnt. Aber alle Sorge ist grundlos. Dieser Bericht bringt den Beweis. Auch dieser Tag geht zu Ende. Heute bin ich vielleicht eher froh, dass er vorbei ist, aber es war ein schöner Tag.