7. Reisebericht in KaWe - Kurier 33/03

Russland I
Kerch (Керч) - Karatschajevsk, 4. - 10. Juni, km 4600

Hurra, wir sind in Russland!

Das scheint wohl doch eine Weltreise zu werden. So langsam glauben wir selber an unser Vorhaben. Russland - das klang für uns früher immer so weit und fremd. Jetzt muss ich sagen, dieses von mir nie zuvor besuchte Land ist gar nicht so weit weg. Wir brauchten nur einen Monat, um es zu erreichen. Ich gebe zu, unsere Reisegeschwindigkeit ist nicht die Schnellste. Voller Spannung auf das, was uns erwarten wird, fahren wir in die tiefe Dunkelheit hinein.

Die Grenzabfertigung dauerte länger, als wir geplant hatten. Nach 10km Russland steht vor uns ein pflichtbewusster Polizist, der uns drei Fragen stellt, die wir in Russland immer wieder zu hören bekommen sollen. Woher? Wohin? Wozu diese Reise? Dann noch die obligatorischen "Dokumenti", und wir dürfen weiter in die Nacht fahren, bis uns die Dunkelheit verschluckt.

Wir sind etwas genervt, da wir nicht vor hatten, unsere übernachtungsstätte in absoluter Finsternis zu suchen, doch nachdem wir diese Aufgabe gemeistert haben, stellen wir nach einer ruhigen Nacht fest, dass wir den Job auch bei hellstem Tageslicht nicht besser hätten machen können. Schmunzeln müssen wir nur, als wir mitbekommen, dass wir am Vorabend unwissend 500m vor dem Meer unser Zelt aufschlugen.

An diesem Morgen packen wir wie immer unsere Sachen und sind schon unterwegs, diesmal auf Russlands Strassen. Wir bemerken sofort die auffallend gute Qualität des Asphalts. Auch sonst gibt es erstaunlich viel ähnlichkeit zu unserem deutschen Strassenbild. Faszinierte mich in der Ukraine noch die Einfachheit des Landlebens, entäuscht es mich dieserorts schon fast, wie der Verkehr zunimmt, wie Brunnen durch Pumpen ersetzt werden, wie Schlaglöcher relativ fix ausgebessert werden. Ich tröste mich mit dem Gedanken, im äussersten Westen des Landes zu reisen. Weiter östlich ändert sich bestimmt vieles.

Am Abend suchen wir wieder nach einer übernachtungsmöglichkeit. Ein Schlagbaum versperrt uns die Weiterfahrt. Krasnoi Less (Roter Wald) heisst der Ort, der uns im Verborgenen bleibt. Wir lernen Ivan kennen. Er ist hier wohl Wachmann und Förster zugleich. Nachdem er uns erzählt, dies sei ein geschlossenes Jagdgebiet, und wir ihm ohne jegliche Absicht mitteilen, das wir nur einen Platz für unser Zelt suchen, führt er uns plötzlich auf eine wunderschöne Lichtung mitten im tiefen Wald. Ideal für zwei deutsche Globetrotter und schon stehen Zelt und Motorräder nebeneinander, als würden sie dort hingehören.

Nach dem Abendessen erzählen uns Fjodor und Ivan vieles über ihren geheimnisvollen Wald. Hier haben früher Breschnew und Konsorten ihre Flinte zwischen die Bäume gehalten. Heute sind es eher zahlungskräftige Urlauber. Es wird noch viel geredet und gelacht, bis sie uns auf der mittlerweile ziemlich finster gewordenen Lichtung alleine zurücklassen.

Zum nächsten Frühstück überreicht uns Ivan stolz eine gefüllte Bienenwabe. Anfangs sind wir etwas überfordert. Was sollen wir mit einer gefüllten Bienenwabe? Aber dann zeigt uns Robbin Hood, wie wir diese voll und ganz verzehren können. Der Wert dieses Geschenkes steigt schnell in unseren Augen.

Da es in Russland noch zu den Reiseformalitäten gehört, sich innerhalb der ersten drei Tage offiziell im Land registrieren zu lassen, wird es für uns nun höchste Zeit. Nach mehreren Anlaufversuchen unserer Pflicht nachzukommen, erhalten wir in den Hotels stets die gleiche Antwort: Die Registrierung ist nur mit einhergehender übernachtung in diesem Hotel möglich, und weil man uns im Hotel aber nicht unser Zelt aufbauen lässt, versuchen wir einen nächsten Registrierungsversuch beim örtlichen Einwohnermeldeamt. Man schickt uns vom einen ins andere Zimmer, aber einen Stempel geben will uns keiner. Unsere Hilflosigkeit und Fassungslosigkeit bleibt ohne Mitleid und so vertagen wir dieses alberne Spiel.

Wir haben schliesslich auch noch andere Aufgaben zu erledigen, um uns in diesem fremden Land über Wasser zu halten. Auf dem Weg von Krasnodarsk nach Maikop nähern wir uns dem Kaukasus (Кавказ). Viele Leute, die wir kennenlernen, haben den Kaukasus noch in schlechter Erinnerung. Oft rät man uns ab, in diese Richtung zu fahren. Es sei gefährlich, denn Banditen trieben dort ihr Unwesen. In allen Warnungen versuchen wir zwischen den Zeilen zu lesen. Da sich ein Grossteil der Informationen auf den Südosten des Gebirges bezieht, entschliessen wir uns zu einem Kompromiss und wollen nur in den Nordwesten fahren. Dort liegt der höchste Berg des Kaukasus, der Elbrus (Эльбрус) mit seinen stolzen 5600m (ca.). Ein motivierendes Ziel für die nächste Etappe unserer Weltreise.