5. Reisebericht in KaWe - Kurier 31/03

Ukraine II
Kamienica Polska - Strugan, 21. - 24. Mai, km 2300

Bohh - endlich geschafft! Nachdem sich schon ein Hauch Resignation in unser Gemüt schlich, können wir nun nach vier Tagen Zwangsaufenthalt wegen eines elektrischen Problems an meiner Maschine, weiter unserem Traumziel entgegenfahren. Nun haben wir schon viele Erlebnisse in unseren Tagebüchern zu stehen. Sie geben uns Kraft, unsere Reise weiter fortzusetzen. Doch die meiste Motivation entwickle ich durch die Tatsache, dass dort zu Hause bzw. in Italien meine Freundin auf mich wartet. Sie ist der Hauptgrund, wieder zurückzukehren. Es ist einfach schön, dass es einen Menschen gibt, der auf einen wartet, ganz egal wieviel Kilometer zwischen dieser Person und einem selber liegen.

Immer weiter entfernen wir uns von Deutschland, immer weiter fahren wir in Gebiete, die wir noch nie besuchten. Die Ukraine ist ein sehr gastfreundliches Land. Durch die übernachtung auf Bauernhöfen erfahren wir viel über Land und Leute. Wirtschaftlich sieht es hier nicht so gut aus. Auf dem Land gibt es ausschliesslich Brunnen zur Frischwasserversorgung. Je weiter wir uns von den grossen Strassen entfernen, desto schlechter werden die Wege, auf denen wir uns bewegen. Oft fahren wir der Nase nach und kommen so in äusserst abgelegnen Gebiete. Teilweise sind die Wege so schlecht, dass es unsere ganze Konzentration erfordert, die XTs heil über vereinzelte Passagen zu bugsieren. In solchen Momenten läuft der Schweiss unter den dicken warmen Motorradkombis.

Wird der Weg wieder etwas besser, belohnt uns meistens die schöne Landschaft für die kleinen Strapazen. Ich staune darüber, dass immmer am Ende der Welt noch ein kleines Dorf exisitiert. Hier helfen die Leute sich gegenseitig. Was der eine braucht, hat der andere. Opas und Omas sitzen gemeinsam auf der zentralen Dorfbank, vertieft in den allabendlichen Dorftalk. Die Kühe haben hier noch ihren Wert. Sie legen zwar keine Eier aber wollen dreimal täglich ihre Milch loswerden. Zusammen mit den täglichen Hühnereiern bringt das zumindest einige Kopeken ein, die jeder in so einem Dorf dringend gebrauchen kann. Jeder Fleck Erde auf dem eigenen Grundstück wird für den Gemüseanbau genutzt. Nicht selten sind beide Partner arbeitslos und müssen durch solche eigentlich zusätzlichen Einnahmen ihre Grundversorgung bestreiten. Die Krankenkasse ist wohl eher ein "Segen" der weiter westlich gelegenen Länder.

Viele Bauernhöfe bestehen aus zwei Häusern - das eigentliche Haupthaus indem man schläft, Besuch empfängt und den Winter verbringt und einer sogenannten Sommerküche, die extra für die warmen Tage im Jahr bestimmt ist. Jedesmal wieder lädt man uns ein, die eigenen vier Wände von innen zu besichtigen, wo wir natürlich nicht nein sagen können. Neugierig sind wir schon, doch halten wir uns mit der Absicht zurück, um nicht aufdringlich zu wirken. Obwohl alle Wohnungen bisher in ihrer Einfachheit und Schlichtheit überzeugten, erzählt jedes Heim doch seine eigene, persönliche Geschichte. Oft müssen wir über manche Einrichtung schmunzeln. Da ein uraltes Radio, hier ein Lichtschalter, den wir vielleicht alles andere als das identifiziert hätten. Nur im Grossen und Ganzen fasziniert mich die Art und Weise, wie die Menschen hier ihren Alltag mit den einfachsten Mitteln meistern.

Wiedermal am Ende einer schweisstreibenden Dorfdurchfahrt gelangen wir zu einem Bauern, der sein Stückchen Wiese kurzerhand zu einem Ein-Zelt-Campingplatz umfunktioniert. Nachdem Bauer Horst merkt, wir sind keine Ausserirdischen, liegen im Gras Kartoffeln, Zwiebeln, Eier, Milch, Wasser, Salo (gesalzener Speck - eine Tradition in der Ukraine) und Sülze und Schweinefleich. Das ist diesmal wirklich zuviel. Wie erklärt man den Leuten, dass wir dies alles gerne annehmen wollen, aber mit so viel Geschenken ein Transportproblem bekommen? Wir schaffen es, ein bischen Diplomatie in's Spiel zu bringen und wechseln im Gespräch geschickt das Thema.

Am nächsten Tag schreiben wir bereits den 24. Mai. Da wir hier eine Möglichkeit erhalten unsere neu erworbene Batterie vollständig aufzuladen, ist es nach dem Einbau der selben zu spät, um noch in See zu stechen. Der Abend wird gemütlich. Ich befreie meine Gitarre und wir versuchen der Familie den russischen Text von Katjuscha zu entlocken, doch bereits nach der 4. Zeile verstummen die ukrainischen Kehlen.

Den darauffolgenden Tag heist es wieder Abschied nehmen. Anfangs geht es den mörderischen Weg zurück zur Hauptstrasse, dann lehne ich mich wieder zuruck, überlasse der Maschine ihren gewohnten Rhythmus und beobachte die Leute auf den Feldern, in den Dörfern, entlang der Strasse, die Kühe, die anscheinend nichts aus der Ruhe bringt. Auf dem Land herrscht ein anderer Wind. Die unendliche Gelassenheit überträgt sich auch auf mich und ich spüre einmal mehr, wie alles, was mir vorher wichtig erschien, klein und unbedeutend wird.