2. Reisebericht in KaWe - Kurier 22/03

Polen I
Grenze - Slawa, 1. - 2. Mai, km 350

Kein Jubel, kein übermütiges "am Gas drehen" - Wir rollen einfach von der Oderbrücke runter, halten nochmals rechts an, ein Blick zurück und dann führt uns die polnische Strasse mit jedem Meter weiter nach Osten. Komisch - ich hab mir den Abschied immer anders vorgestellt. Sicherlich freuen wir uns auf das uns Bevorstehende, doch durch den vielen Vorbereitungsstress sind mir die eigentlichen Probleme nie so bewusst geworden.

Viele mögen der Vorstellung behaftet sein, es wäre gefährlich durch Russland zu reisen. Ich hab das oft im Vorfeld gehört. Um der Vorbereitung Genüge getan zu haben, wurden von unserer Seite natürlich ausführlich Informationen zusammengetragen, doch letztendlich war ich noch nie dort, wo ich jetzt zusammen mit Lo, meinem Freund und Reisegefährten, hinfahre. Wir werden es sehen und ihr lesen.

Ich glaube das Problem liegt woanders. So eine Reise ist für mich ein zweischneidiges Schwert. Es ist immer wieder schön, interessant und aufregend neue Leute kennenzulernen, ihr Umfeld, ihre Lebensweise, aber für 14 Tage, einen Monat oder ein viertel Jahr ist das OK. Für einen Zeitraum von einem Jahr verlässt man die Personen, die einen lieben, die einen brauchen. Ich tue ihnen mit meiner Abfahrt weh und genau das ist die zweite Schneide des besagten Schwertes.

Sofort nach den ersten Kilometern spüre ich wie meine Hände auf der Fahrt von Wildau nach Frankfurt verkrampft den Lenkergriff umklammerten. Seit Monaten habe ich mir beim Auto- oder Motorradfahren nicht mehr die Landschaft angeschaut: Nun fällt es mir auf. Die Natur eröffnet sich mir täglich in voller Schönheit, egal zu welcher Jahreszeit und obwohl mir diese Problematik bewusst ist, schaue ich bisher nur auf das Tacho, um den Blitzern keine Chance zu geben. Vorbei an grünen Feldern, die sich mit verschlafenen Dörfchen die Hand reichen, fahren wir einfach der Nase nach. Die Sonne muss rechts neben der Strasse stehen, dann sind wir richtig. So macht sich das mit der Orientierung ganz gut. Wir haben noch nicht einmal eine polnische Landkarte dabei - heutiges Etappnziel unbekannt.

Die Beladung der Maschinen ist ein Problem. Vor der Abfahrt heute morgen war nicht genügend Zeit, das Gepäck optimal zu verstauen. Es war so oder so schon ein Wunder, dass wir das alles mitnehmen konnten, was wir vorgesehen haben, denn der Stauraum ist mit dieser Art Fortbewegungsmittel nun mal äusserst begrenzt. Der Schwerpunkt liegt zu weit oben. Noch dazu kämpfen wir mit aggressiven Seitenwind für den unsere Schlachtschiffe eine willkommene Angriffsfläche darstellen. Das Motorengeräusch meiner Maschine gleicht eher einem Traktor. Jedes am Gas drehen tut mir in der Seele weh. Nein - ich muss mir etwas einfallen lassen. So komme ich keine 2000 km weit.

Nach 210 km suchen wir uns den ersten "Bauer Horst" und wie erhofft könen wir hinter dem Haus auf einer Wiese neben dem Acker der Saatkartoffeln versteckt unser Zelt aufschlagen. Dass Woda Wasser heisst, lernen wir im ersten Gespräch, aber eigentlich kennen wir das Wort noch aus dem damaligen Russischunterricht, aber wir befinden uns ja erst einmal in Polen. Zum ersten Mal wird ein grosser Teil der Ausrüstung auf Tauglichkeit getestet und außer dem Fakt, dass uns drei Heringe im neugekauften Zelt fehlen, müssen wir feststellen, dass wir trotz des Stresses nichts schwerwiegendes vergessen haben. Wir haben sogar zwei Hocker zum Sitzen. Selbst unsere Lieblingsmusik können wir abends oder morgens mit Hilfe eines MP3 Players, zweier Boxen und zweier eingebauter 12Volt-Steckdosen hören - und alles funktioniert. Das ist doch wirklich toll, oder?

Am nächsten Morgen packen wir alle Kisten noch einmal gründlichst um und so landen alle schweren Mitbringsel so weit wie möglich unten, den einzigen vollen 5 Liter Benzinkanister kippe ich in den Tank und am Ende habe ich in meiner Topkiste noch so viel Platz, um den grossen 10 Liter Kanister darin zu verstecken. Dann wird aufgesattelt, die Gitarre kommt jetzt direkt hinter meinen Rücken, wo der grosse Kanister sass, die Enkel von "Bauer Horst" wollen noch einmal aufs Mopped - auch kein Problem. Dann gibt's noch zweimal laut "Dschenkuje" zu hören ("Danke") und unsere Krads rollen wieder, diesmal deutlich sicherer in der Strassenlage, gen Osten.